Glücklich zu sein, ist eine Entscheidung. Glücklich zu sein, ist der eigentliche Sinn des Lebens. Sich ständig Sorgen zu machen oder schlechte Laune zu verbreiten, ist wie «Ketchup über ein Stück Kuchen zu schütten», wie mir mein Sohn einmal erklärte (der – ganz nebenbei bemerkt – Ketchup zu den Grundnahrungsmitteln zählt). Doch da ist er sich mit dem Buddha einig, und mit meinem Mann. Victor ist ein Weltmeister in der Disziplin der Hoffnung. Von ihm lerne ich jeden Tag. Denn ich bin nicht von Natur aus Optimistin.
Früher habe ich das sprichwörtliche Glas nicht nur halb leer gesehen, ich stellte mir auch vor, wie es mir aus der Hand fallen, zerschellen, seinen Inhalt über mich ergiessen und mich mit den Scherben verletzen würde. Dieses Katastrophenbewusstsein half mir zwar beim Schreiben, machte mein Leben aber auch ganz schön anstrengend.
Es ist so viel einfacher, das Glas nicht nur halb voll zu sehen, sondern auch darauf zu vertrauen, dass es sich immer wieder füllt. Damit lebe ich unterdessen ganz gut. So gut, dass ich nicht mal mehr darüber nachdenke. Es ist mir zur zweiten Natur geworden. Doch manchmal bricht diese Einstellung in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Wann werde ich meine Kinder wieder sehen? Was soll das heissen, eine kalifornische Mutation? Sonst noch was? Manchmal mag ich einfach nicht mehr. Manchmal weine ich. Oder trete gegen eine Tür. Manchmal lasse ich «die Hanteln fallen», wie es kürzlich eine Frau ausdrückte, die ich nur noch als «Rachelsmom» kenne. So hat sie sich mir vorgestellt, als wir uns vor ein paar Jahren zufällig wieder begegneten: «Hey, Cyrilsmom», rief sie. «Kennst du mich nicht mehr? Ich bin doch Rachelsmom!» Seither will ich sie fragen, wie sie zum Vornamen heisst, doch ich komme nie dazu.
Vor 17 oder 18 Jahren, als unsere Kinder zusammen zur Schule gingen, hatten wir wenig miteinander zu tun. Ich erinnere mich nur an ihren schockierten Blick, als mir während eines Kindergeburtstags der Stossseufzer «jetzt brauch ich dringend ein Glas Wein!» entfuhr. «Wie, du TRINKST?», fragte sie. Wie immer in solchen Situationen redete ich mich damit heraus, dass ich Europäerin sei. Man weiss ja, wie die sind! Sie fasste sich auch schnell und bot mir grosszügig nicht weiter definierte Tabletten aus ihrer Handtasche an.
Als ich sie jetzt wieder sah, erkannte ich sie nur an ihrem hüftlangen, rötlichen Haar. Sie war geschieden, erzählte sie mir, und halbprofessionelle Gewichtsheberin und Trainerin. «Zwischendurch war ich mal hundertachtzig Kilo schwer, du hättest mich sehen sollen! Aber ich sage dir, es gibt nur eins: Gewichte. Richtig schwere Gewichte!» Sie schob ihren Ärmel hoch, um ihre erstaunlichen Muskeln zu zeigen – und ihre flächendeckenden Tätowierungen. Die Muskeln zuckten, das Einhorn tanzte auf ihrem Bizeps. Viel mehr als ein «wow» hier und da bringe ich in unseren Gesprächen nicht unter, aber jedes Einzelne ist tief empfunden.
Doch als ich sie vor ein paar Tagen beim Einkaufen sah, gestand sie, dass sie manchmal auch einfach nicht mehr mag. «Du kennst mich, ich lass mich nicht so schnell unterkriegen. Aber es gibt Tage, da möchte ich mich nur unter der Decke verkriechen. Was solls, auch die stärkste Frau lässt mal die Hanteln fallen.»
Genau das ist es, dachte ich. Ich hätte sie am liebsten umarmt, aber da war sie schon wieder weg, und ich hatte wieder nicht nach ihrem Namen gefragt.
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