Milena Moser
Diese Arten von Freundschaften gibt es

Fische und Besucher, sagt man, entwickeln nach drei Tagen einen unangenehmen Geruch. Sie fangen an zu stinken. Deshalb zögerte ich ein wenig, bevor ich mich für eine ganze Woche bei alten Freunden einlud.
Publiziert: 15.08.2022 um 07:16 Uhr
Die Schriftstellerin Milena Moser schreibt im SonntagsBlick Magazin über das Leben. Sie ist die Autorin mehrerer Bestseller. Im Februar erschien ihr neues Buch «Mehr als ein Leben».
Foto: Barak Shrama Photography
Milena Moser

«Aber nicht doch», sagte Daphne, «wir freuen uns!» Wir kennen uns seit gut 24 Jahren. Unsere jüngeren Kinder besuchten denselben Vorkindergarten, und eines Nachmittags lud sie mich zu sich nach Hause ein.

«Ist es zu früh für ein Glas Wein?», fragte sie, als sie die Tür öffnete. Unsere Freundschaft war besiegelt, obwohl die Kinder herzlich wenig miteinander anfangen konnten. Mein Sohn hat einmal in seiner Verzweiflung über den erzwungenen Aufenthalt in einem Mädchenzimmer die Notrufnummer gewählt, worauf ein Streifenpolizist an der Tür klingelte und uns alle streng ermahnte.

Daphne und ihr Mann Paul hatten vor über dreissig Jahren genau eine Verabredung, seither ist er «einfach geblieben». Sie sind eines dieser Paare, die mir in verzweifelten Zeiten Mut gemacht haben. Obwohl, oder gerade weil das Leben nicht gerade zimperlich mit ihnen umspringt.

Irgendwann wurde ihnen San Francisco zu teuer, und so zogen sie nach Maine, wo sie ein Restaurant eröffneten und ein paar Jahre später ein zweites. Als ich sie das letzte Mal gesehen hatte, vor etwa vier Jahren, waren sie, wie so viele in der Gastronomie Tätige, überarbeitet, erschöpft und finanziell gefährdet. Ich wusste, dass sie das eine ihrer Restaurants seither verkauft und das andere in einen Delikatessenladen umgewandelt hatten. «Und, haben sie den jetzt auch geschlossen? Und was machen sie jetzt? Wo arbeitet Paul?», fragte Victor. «Keine Ahnung!» Daphne und ich hatten in diesen vier Jahren nicht ein einziges Mal telefoniert. Nicht einmal! Unsere Kommunikation beschränkte sich auf liebevolle, aber sporadische Nachrichten.

Doch als sie mich am Flughafen abholte, war es, als hätten wir uns am Vorabend zuletzt gesehen. Auf der zweistündigen Fahrt nach Hause brachten wir einander auf den neuesten Stand, aber im Grunde waren diese Einzelheiten gar nicht so wichtig. Die Woche verging wie im Flug. Wir schwammen an unwirklich schönen, menschenleeren Stränden. Wir kauften im Supermarkt ein. Wir holten ihren Neffen vom Flughafen ab und fuhren ihn auf abenteuerlichen Wegen in seine Hüttenkommune tief in den Wäldern. Wir kauften im Supermarkt ein, der ganz anders sortiert war als die in Kalifornien (ich sage nur: Hummeraquarium neben der Fleischtheke!). Ich nahm an einer Familienzusammenkunft teil, ich lümmelte auf ihrer Couch herum und hörte zu, wie Paul einen neuen Song einstudierte. Meine Zahnbürste stand neben den ihren im Becher im Bad. Vor allem redeten wir. Wir redeten, als sei unser Gespräch nie abgebrochen.

Es gibt unterschiedliche Arten von Freundschaften: Manche beruhen auf einem geteilten Alltag, auf einer geteilten Realität. Man arbeitet für dieselbe Firma, die Kinder besuchen dieselbe Schule, man wohnt in derselben Strasse. Manche entstehen zufällig oder zögernd oder sie entwickeln sich überhaupt erst unter erschwerten Bedingungen. In einer Krise sind plötzlich Menschen da, an die man gar nicht gedacht hat.

Manche Freundschaften überleben eine räumliche Distanz oder dramatisch veränderte Umstände, andere nicht. Aber das sagt nichts über ihre Bedeutung aus. Alle Freundschaften sind wertvoll, auch die, die irgendwann zu Ende gehen. Gemäss der toltekischen Tradition, der mein Mann Victor angehört, überdauern nur drei Dinge den Tod: Lieder, der Duft der Blumen und Freundschaften.

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