Kolumne von Stefan Meierhans
Heisst die Zukunft der ÖV-Billette Myride?

Tarifdschungel, Preis-Unlogiken, falsche Billette, verschiedene Preise auf der gleichen Strecke – die Lösung der langjährigen ÖV-Tarifierungs-Probleme könnte Myride heissen. Und Myride hat Potenzial zu noch viel mehr.
Publiziert: 29.04.2024 um 15:24 Uhr
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Stefan MeierhansPreisüberwacher

Myride ist ein E-Tarifsystem, das die ÖV-Branche testet und vermutlich in etwa zwei Jahren einführen wird. Aus Sicht der Kundinnen und Kunden funktioniert es ähnlich wie die bekannten ÖV-Apps Easyride oder Fairtiq. Der Unterschied ist, dass mit Myride ein einheitlicher Tarif geschaffen werden soll und bei der Abrechnung am Ende der Periode auch Gutschriften (Rabatte) erfolgen können.

In den bisherigen Apps hat man die beiden bisherigen Tarifsysteme «Zone» und «Strecke» mit all ihren Problemen einfach digital übersetzt. Mehr Komfort zwar, aber die gleichen Probleme. Und von Kostenvorteilen mit Preiswirkung haben wir nichts gesehen – im Gegenteil.

Der potenzielle Nutzen von Myride könnte einiges grösser sein: Ein einheitliches System bietet den gewohnten App-Komfort. Aber, um den besten Preis für sich rauszuholen, müsste man nicht mehr den «Doktor» machen, denn es gäbe gar keinen anderen mehr. Ein anderer grosser Vorteil wäre, dass die vielen Schnittstellen und Workarounds, die teuer und oft unlogisch sind, automatisch entfallen. Das sollte sich vorteilhaft auf die Kosten des ÖV auswirken und damit auch positive Effekte auf die Preisentwicklung für die Reisenden haben.

Dass die Branche ein digitales Tarifsystem wählt, ist in meinen Augen folgerichtig. Beinahe jeder Erwachsene in der Schweiz nutzt heute ein Smartphone. Auch die meisten Seniorinnen und Senioren sind längst online unterwegs. Der digitale Graben zwischen on- und offline lag schon vor vier Jahren bei über 80 Jahren. Mit jedem Jahr sind mehr Menschen in der digitalen Welt zu Hause. Das macht sich überall bemerkbar, auch im ÖV. Rund 70 Prozent aller Fahrausweise wurden vergangenes Jahr digital gekauft. Deshalb ist es aus meiner Sicht nicht nur sinnvoll, sondern schlicht unumgänglich, stark auf die digitalen Kanäle und ihre Vorteile bei den Kosten, aber auch bei der Angebotsgestaltung zu setzen.

Klar ist aber auch, dass der ÖV auch für offline Reisende – etwa Kinder ohne Smartphone – nutzbar sein muss. Weit suchen müsste man für eine gute Lösung wahrscheinlich nicht: Graubünden hat bereits ein digitales System namens Venda eingeführt. Bezahlen kann man da auch mit einer unpersonalisierten Venda-Prepaid-Karte, die jeder Reisende ohne elektronische Geräte nutzen kann.

In jüngster Vergangenheit hörte man das Argument, dass die fortschreitende Digitalisierung im ÖV unsozial sein könnte. Ich möchte Folgendes zu bedenken geben: Heute gibt es sieben (!) verschiedene Verkaufskanäle für ÖV-Billette. Alle sieben verursachen Kosten. Wenn es gelingt, diese Anzahl in Zukunft zu reduzieren, ohne dass man Menschen aussen vor lässt, dann wäre das sehr positiv in Hinblick auf die zukünftige Preisentwicklung. Kostenvorteile über die Preise an alle Reisenden weiterzugeben, ist in meinen Augen sozialer als das teure Aufrechterhalten liebgewordener Gewohnheiten für wenige.

Alle, die befürchten, dass durch E-Tarife Tür und Tor für Preiserhöhungen geöffnet wird, kann ich beruhigen: Ich habe unter anderem eine Regulierungspraxis entwickelt, mit der – vereinfacht gesagt – die zulässigen Maximal-Preise des ÖV berechnet werden können. Diese werde ich auch bei Myride konsequent anwenden, das habe ich der Branche bereits kommuniziert.

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