Kolumne von Simon Jäggi «Wild im Herzen» über den Fettschwalm
Die fliegenden Öllampen

Der Fettschwalm ist ein Vogel der Superlative: Er ist der Einzigartigste unter den Einzigartigen. Im Stockdunkeln orientiert er sich ähnlich wie die Fledermäuse, und sein Fleisch tut seinem Namen alle Ehre.
Publiziert: 20.11.2020 um 08:05 Uhr
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Aktualisiert: 25.02.2021 um 23:07 Uhr
Simon Jäggi ist Mitarbeiter am Naturhistorischen Museum Bern.
Foto: Thomas Buchwalder
Simon Jäggi

Möchten Sie die fünf einzigartigsten Vögel der Erde kennen? Dann merken Sie sich den Schuhschnabel aus Afrika, den Löffelstrandläufer aus Sibirien, den neuseeländischen Kakapo, den südamerikanischen Hoatzin und den Fettschwalm, der ebenfalls auf dem südamerikanischen Kontinent vorkommt.

Aber was heisst einzigartig? Britische Forscher haben den Stammbaum der über 10'000 Vogelarten untersucht und dabei jene Vögel herausgepickt, die sich genetisch am meisten unterscheiden von anderen. Warum sie das getan haben? Der Grund ist ein ernster: Derzeit ist bekanntlich ein Artensterben von gewaltigem Ausmass im Gang – verursacht von uns Menschen. Die Forschenden wollten herausfinden, welche Arten besonders geschützt werden müssen, da sie keine genetischen Verwandelten haben. Diese Spezies ragen heraus, da sie evolutionär für sich allein stehen und dadurch unersetzlich sind.

Wie Fledermäuse, aber anders

Der Einzigartigste unter den Einzigartigen ist der Fettschwalm. Vor 80 Millionen Jahren hat er sich von den anderen Vögel abgespalten und entwickelt sich seither unabhängig. Es handelt sich um die einzige flugfähige Vogelart, die in der Nacht auf die Jagd nach Früchten geht. Sie hat ausgesprochen gute Augen, ihre grossen Pupillen erreichen die höchste Lichtempfindlichkeit, die in der Vogelwelt bekannt ist.

Die Fettschwalme leben in Kolonien. Tagsüber ruhen sie in tiefen Höhlen, die bis einen Kilometer unter die Erde reichen. Dort unten ist es stockdunkel. Selbst mit ihren guten Augen sehen sie nichts mehr. Um sich in den Höhlen zu orientieren, benutzen die Schwalme die Echoortung – ähnlich wie die Fledermäuse.

Küken triefen vor Öl

Das Erstaunliche daran: Die Evolution hat diese Fähigkeit allein für den Fettschwalm nochmals neu erfunden. Anders als die Fledermäuse stossen die Vögel keine Ultraschall-Laute aus – ihre Klicklaute sind auch für den Menschen hörbar. Und ohrenbetäubend laut. Die Fettschwalme gelten daher auch als die lautesten aller Vögel. Auch hier sind dem Vogel nur Superlative gut genug.

Als wäre das nicht schon genug, weist er noch ein weiteres aussergewöhnliches Merkmal auf: das ölhaltige Fleisch. Gerade Küken triefen derart vor Öl, dass sie sogar ausgekocht wurden. Das Öl brauchte man für erste Lampen – also flache Steinschalen, welche am Rand eine kleine Rinne für den Docht hatten.

Simon Jäggi (40) ist Sänger der Rockband Kummerbuben und arbeitet im Naturhistorischen Museum Bern. Er schreibt jeden zweiten Freitag im BLICK.

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