In der letzten Kolumne ging es um den Wildesel, dieses Mal kümmern wir uns um seinen gezähmten Bruder, den Hausesel. Vor zirka 4000 Jahren vor Christus begannen Schafhirten in Ägypten, den Esel zu domestizieren. Der genetische Vorfahr, der Nubische Wildesel, ist vor einem halben Jahrhundert endgültig ausgerottet worden.
In der frühen Phase der Beziehung verehrten die Menschen ihre vierbeinigen Gehilfen sehr. Zunächst schätzen sie das Fleisch und die reichhaltige Milch. Aus seiner Haut wurden Paukenhäute oder Pergament gefertigt. Schliesslich bemerkten die Bauern, dass sie ihre Esel auch reiten oder ihnen Lasten aufspannen konnten. Die hohe Bedeutung der Esel wird auch in der Bibel offensichtlich – dort reiten nicht nur Maria, sondern auch Könige auf Eseln.
Pferde verdrängen die Esel
Doch dann kam das Pferd. Die Pferde liefen den Eseln in vielen Bereichen den Rang ab. Und so wurde der Esel mehr und mehr zum Arbeitstier degradiert – damit sank auch die Wertschätzung. Das zeigt sich allein an der Anzahl von Rassen: Während die Liste der Pferde ewig lang ist, sind es beim Esel nur ein paar Dutzend. Sie waren die Mühe schlicht nicht wert.
Statt ihn zu verehren, spotteten die Menschen nun über den störrischen, dummen Esel. Unsere schlechte Meinung wurzelt darin, dass wir sein Wesen nicht verstehen. Anders als Pferde sind Esel keine Fluchttiere. Im zerklüfteten Gebirge ihres ursprünglichen Lebensraums bringt ein kopfloses Wegrennen nichts. Daher bleiben Esel zuerst einmal stehen, wenn sie mit Unbekanntem konfrontiert werden. Sie schauen sich die Sache in Ruhe an, bevor sie entscheiden. Und wenn sie fliehen, dann auf vertrauten Wegen. Rufe und Schläge führen bei Eseln bloss zu mehr Stress – und machen sie umso störrischer.
Manchmal lauert das Verderben
Dafür sind Esel mutig und nehmen es mit gefährlichen Gegnern auf, etwa mit Wölfen. In wärmeren Regionen werden sie für den Herdenschutz eingesetzt. Auch in der Schweiz gibt es Bauern, die ihre Schafe von Eseln begleiten lassen. Allerdings werden Esel als Schutztiere nicht subventioniert, da sie in seltenen Fällen selber zur Beute werden können. Seine stoische Art mag dem Esel in vielen Situationen helfen, manchmal führt sie ihn aber leider auch direkt ins Verderben.
Simon Jäggi (40) ist Sänger der Rockband Kummerbuben und arbeitet im Naturhistorischen Museum Bern. Er schreibt jeden zweiten Freitag im BLICK.