Kolumne von Simon Jäggi
Tote Wale explodieren nicht

Auf Youtube finden sich unzählige Videos von berstenden Meeressäugern. Das Internet erzeugt eine urbane Legende, die nicht der Wirklichkeit entspricht.
Publiziert: 03.12.2021 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 02.12.2021 um 19:19 Uhr
Der Blauwal ist das schwerste bekannte Tier der Erdgeschichte. Wahrscheinlich waren nur ganz wenige Dinosaurier grösser als der riesige Säuger.
Foto: Getty Images
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Simon JäggiSänger der Rockband Kummerbuben

Diesen Sommer geschah es wieder: Ein Blauwal wurde an die indonesische Küste gespült. Das Tier mass 29 Meter, was der Hälfte eines Eishockeyfelds entspricht. Und wog 100 Tonnen – so viel wie 130 Kühe.

Der Blauwal ist das schwerste bekannte Tier der Erdgeschichte. Und wahrscheinlich waren nur ganz wenige Dinosaurier grösser als der riesige Säuger.

Der Blauwal war Mitte des 20. Jahrhunderts fast ausgerottet. Inzwischen hat sich der Bestand erholt, er wird auf bis 20'000 Individuen geschätzt. Genau weiss es niemand, denn Blauwale leben in der Hochsee und kommen selten in Küstennähe – eine Zählung gestaltet sich da schwierig.

Der Blauwal kommt in allen Weltmeeren vor. Den Winter verbringt er in den gemässigten Zonen wie etwa den Azoren, wo man die seltene Art mit etwas Glück zu Gesicht bekommen kann. Im Sommer wandert er in die fischreichen Gebiete der polaren Meere.

Wie viele andere Walarten stranden hin und wieder auch Blauwale, was in Anbetracht der gewaltigen Grösse der Tiere rasch zum medialen Ereignis wird. Warum Wale stranden, darauf gibt es etliche Antworten. Wenn eine ganze Gruppe strandet, kann es etwa sein, dass das Leittier desorientiert ist und die ganze Schule ins Verderben bringt. Ein Grund können auch Beutetiere sein, welche die Wale in flache Bereiche lotsen. Ist der Boden schlickig, können sich Wale mit ihrer Echolotung nicht mehr orientieren.

Ein weiterer Grund ist Unterwasserlärm (etwa durch Militärübungen), der das empfindliche Gehör des Blauwals schädigt und so dessen Orientierung stört.

Oft können gestrandete Wale nicht mehr gerettet werden. Aber auch der Umgang mit toten Walen ist eine Herausforderung. Bei der Verwesung entstehen Gase im riesigen Kadaver. Auf Youtube finden sich unzählige Videos von berstenden Walen. Mein ehemaliger Arbeitskollege, der Paläontologe Achim Reisdorf, hat sich intensiv mit dem Phänomen befasst. Reisdorf kann sich wunderbar über die Urban Legend aufregen, dass Wale explodieren könnten. Zwar können die Innereien der Tiere mit grosser Wucht austreten, wenn etwa die Haut aufgeschnitten wird. Um einen ganzen Wal aber zum Explodieren zu bringen, reicht der Druck nicht aus. Gegen die Macht des Internets, das vermeintliche Walexplosionen liebt, hat die Wissenschaft auch hier einmal mehr wenig Chancen.

Simon Jäggi (41) ist Sänger der Rockband Kummerbuben und arbeitet im Naturhistorischen Museum Bern.

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