Ich ziehe in dieser Kolumne oft über die Algorithmen von sozialen Medien her. Darüber, dass sie uns viel zu gut kennen und viel zu genau wissen, wie sie uns über Stunden vor dem Bildschirm halten.
Manchmal aber täusche ich mich: Algorithmen sind doch nicht so ausgeklügelt, wie sie sich geben. Mir sind letztens auf verschiedenen Plattformen sogenannte «Alpha Male»-Videos vorgeschlagen worden. Das hat nicht dazu geführt, dass ich mehr Zeit auf der App verbringen, sondern mein Handy an der nächsten Betonwand zerschmettern wollte.
Worum geht es da? Männer werden in Alphas und Betas eingeteilt. Alphas sind stark, selbstbewusst, durchsetzungskräftige Anführer – und kriegen einen Haufen Frauen ab. Betas: schwache Mitläufer, die keinen Sex haben.
Das behaupten zumindest die Scharlatane im Internet, die sich mit den Unsicherheiten von jungen Männern ein goldiges Näschen verdienen. Ihr Businessmodell: Mit teuren Onlinekursen oder pseudo-psychologischen Büchern wollen sie den Betas helfen, zu Alphas zu mutieren.
Wann ist ein Mann ein Mann? Dann!
Obwohl es erst herzig tönt, dass picklige Jungs ihr Sackgeld zusammenkratzen, um bei Mädels anzukommen – im Alpha-Beta-Konzept steckt viel Problematik. Die Onlinegurus verklickern den Betas nämlich nicht nur, dass sie Armlehnen für sich einnehmen sollten, um Dominanz zu beweisen. Sie propagieren auch, dass nur Alphas echte Männer sind.
So werden Werte reproduziert, die ich für längst begraben hielt. Zum einen, dass Männer ihren gesellschaftlichen Wert nur durch Reichtum und Erfolg sichern können. Neoliberale Märchen à la «jeder kann es an die Spitze schaffen – wenn er nur hart genug dafür kämpft» treiben mich nicht auf die Spitze, sondern auf die Palme.
Zum andern wird toxische Männlichkeit befeuert, die wir nun so lange schon zu bekämpfen versuchen. Darunter fällt, dass Männer nicht weinen oder über Gefühle sprechen dürfen, weil das Schwäche zeigt. Und wer ist schwach? Betas!
Nährboden für frauenfeindliche Subkultur
Es geht noch weiter. Die Alpha-Beta-Lehren sind Einstiegsdrogen in rechtsextreme Kreise und Nährboden für Bewegungen wie den «Incels» (unfreiwillige Zölibatäre). Es ist eine frauenfeindliche Subkultur, die sich an Gewalt an Frauen aufgeilt und ihr Beta-Dasein der sexuellen Befreiung der Frau anlastet. Bereits mehrere Anschläge und Femizide sind diesem Lager zuzuschreiben.
Diese erst unschuldig wirkenden Alpha-Videos verursachen ganz viel Leid – für Männer wie Frauen. Ich hoffe, mein Algorithmus kriegt Wind von diesem Artikel und zeigt mir nie mehr Alpha-Inhalte an.
Noa Dibbasey (21) studiert an der Universität Bern Sozialwissenschaften. Sie schreibt jeden zweiten Freitag im Blick.