Wir wissen oft nicht, was uns guttut. Viele von uns sind Versager, wenn es darum geht, vorherzusagen, was uns glücklich macht. Trotzdem geben wir nicht auf. Wir sind ja keine Käfer, die auf dem Rücken liegen und wehrlos strampelnd der Dinge harren, die da kommen mögen. Lieber begreifen wir uns als Regisseure unseres Lebens. Lieber fassen wir Vorsätze.
Ein neues Jahr, ein frisches Jahr steht vor der Tür. Das bald vergangene war darauf ausgerichtet, massenhaftes Unglück zu vermeiden. Das kommende soll wieder vermehrt im Zeichen des persönlichen Glücks stehen.
Wie es uns ja auch die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 nahelegt, die im Streben nach Glück (pursuit of happiness) ein grundlegendes Menschenrecht sieht.
Seither machen sich nicht mehr nur Philosophen, Dichter, Priester, Herrscher Gedanken über das gute Leben; seither hat die Glückssuche langsam, aber sicher die Massen überfallen. Und unser Glück geriet, so scheint es, in kommerzielle Hand. Denn wer definiert und verbreitet die Vorstellungen davon? Diejenigen, die die mächtigsten Medien und Märkte besitzen. Die Liste der Sehnsüchte wurde zu einer Liste von Objekten.
Wir Streberinnen und Streber
Aber gilt das noch? Immerhin leben wir nicht mehr in den Fünfzigerjahren, wo Frauen sich à la Doris Day blondierten und Kühlschrank, Küche, Auto, alles neu, dazu ein akkurat gemähter Rasen unabdingbar zum Familienglück gehörten. Der Fall der Mauer und das damit verbundene Gefühl der Freiheit im Konsumrausch ist eine lange Weile her. Und auch schon vor der Klima- und Corona-Katastrophe ist vielen die Entdeckung exotischer Gegenden in immer billigeren touristischen Arrangements fad geworden. Weniger von allem. Selbstbeschränkung als Distinktionsmerkmal der Stunde.
Vielleicht haben wir dem Versprechen der Dinge tatsächlich zu misstrauen gelernt. Es wandeln sich die Listen unserer Vorsätze. Weniger trinken, mehr trainieren, meditieren, Yoga, weniger Netflix, mehr lesen, schreiben, sich ausdrücken. Der Akzent liegt weniger auf dem Glücksbesitz. Und mehr auf dem Streben. Wir sind Streberinnen und Streber geworden.
Vorsätze sehen wir dabei nicht als Lassos, mit deren Hilfe wir glauben, das Glück einfangen zu können. Eher begreifen wir sie wie Rauch, der bei starken Winden verweht, hinauf in neue Sphären. Alles wird gut.
Ursula von Arx sieht bei sich jeden Tag aufs Neue so viel Verbesserungspotenzial (Mehr Gelassenheit! Grosszügigkeit! Mehr Freundlichkeit! Weniger Freundlichkeit! Etc.), dass sie fürs neue Jahr nur einen Vorsatz gefasst hat: weniger Vorsätze! Von Arx schreibt jeden zweiten Montag im BLICK.