Kolumne «Alles wird gut»
Grossartiges Theater der Grausamkeit

Menschlichkeit, Bescheidenheit, Sachverstand, soziale Verantwortung – solche Eigenschaften finden wir gut. US-Präsident Donald Trump steht für das Gegenteil. Und zieht uns damit in seinen Bann. Woran liegt das?
Publiziert: 02.11.2020 um 08:27 Uhr
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Aktualisiert: 27.12.2020 um 19:19 Uhr
Ursula von Arx
Foto: Thomas Buchwalder
Ursula von Arx

Warum haben wir nun vier Jahre lang diese Geschichten verfolgt? Fassungslos, amüsiert, entsetzt, immer wieder neue prahlerische, verheerende, absurde Superlativsätze geteilt, die ja doch immer wieder die alten waren. Warum? Warum mochten wir sie? Warum haben wir uns so sehr von einem Lügner und Grossmaul in Bann schlagen lassen?

Offiziell bewundern wir Menschen, die Humanität, Rationalität, Selbstreflexion, Sachverstand, soziale Verantwortung, Empathie, Bescheidenheit, Zivilcourage, Weitblick verkörpern – Menschen wie Mahatma Gandhi oder Martin Luther King, wie Angela Merkel oder Malala Yousafzai, wie Ruth Bader Ginsburg oder Greta Thunberg. Hingegen verachten wir offiziell Grössenwahn, Launenhaftigkeit, Selbstbereicherung, grandiose Rücksichtslosigkeit und dramatische Inkompetenz. Und wir erklären Menschen für krank, wenn sie derart von sich selbst besoffen sind und gleichzeitig derart tyrannisch Bestätigung einfordern. Zu Recht. Alles andere wäre gesellschaftlicher Selbstmord.

Wir lebenslänglichen Kinder

Und doch ist es unmöglich, an den Noch-Präsidenten der USA zu denken, ohne diesen Abgrund zu bemerken zwischen dem, was wir vorgeben zu wollen, und dem, was uns offenbar mächtig fasziniert. Zwischen dem, was wir offiziell achten, und dem, wozu wir uns insgeheim zugehörig fühlen. Zwischen dem, im allerweitesten Sinne, was wir als Erwachsene heiraten, und dem, was wir als lebenslängliche Kinder lieben.

Das grosse Kind im Weissen Haus mit dem orangen Gesicht und der verrückten Frisur hat uns furchtbar gut gefallen. Es hat sich gottgleich und grausam und frei gebärdet und mit seinen Tweets die halbe Welt unterhalten und in Angst und Schrecken versetzt. Es lebte den Allmachtstraum, den wir als Erwachsene als solchen erkannt und aus dem bewussten Leben verbannt haben.

Vier Jahre asoziale T-Show

Zur Faszination dieses Kindertheaters trug natürlich bei, dass es so gefährlich war. Da spielte einer ohne Rücksicht auf und Bewusstsein für Verluste. Liess jeden Anstand fahren, brach Abmachungen und zerstörte Institutionen mit einem Handstreich. All das, was wir uns aus guten Gründen verbieten.

Unsere vielfach vernetzte Welt ist auf Verstehen, sorgfältige Planung, Zusammenarbeit und soziale Tugenden gebaut. Auch deshalb war die asoziale T-Show der letzten vier Jahre so schrecklich packend. So packend wie schrecklich. Hoffentlich ist sie bald vorbei. Alles wird gut.

Ursula von Arx staunt immer noch darüber, dass sie jeden Schritt von einem Menschen verfolgte, den sie von Anfang an verachtet hatte. Von Arx schreibt jeden zweiten Montag im BLICK.

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