Der Wolf geht um, der Wolf geht um. Er reisst Rothirsche, Gämsen, Rehe. Er reisst auch Nutztiere wie Schafe, Ziegen, Alpakas, die sind ihm eine besonders leichte Beute. Die Bilder seiner Gewalttaten sind verstörend.
Und trotzdem hat der Wolf viele Freunde. Oder vielleicht gerade deshalb. Denn ist er nicht reine, ungebändigte Natur? Verglichen zum Beispiel mit seinem Nachfahren, dem Hund. Hunde! Diese treuherzigen Menschenfreunde, diese bedingungslos folgsamen Untertanen, deren Wildheit sich höchstens noch im bellenden Überschwang zeigt, mit dem sie ihre Herrin begrüssen.
Was wir an Hunden lieben, verachten wir an ihnen auch: ihr hündisches Wesen. Legte man Fleisch in einen verschlossenen Käfig, bäte der Hund den Menschen mit bettelndem Blick um Beistand. Der Wolf hingegen, getrieben vom Bouquet des Blutes, würde sich mit Gewalt Zugang verschaffen zur Beute. In rauschhafter Beisswut verteidigt er sein Recht auf Leben. Fressen und gefressen werden, töten und getötet werden, leben, sterben, zeugen, gebären und geboren werden, kreuchen, fleuchen, schlüpfen –, das ganze grossartige Schauspiel der Natur.
Die Natur ist nicht nur betörend schön, erstaunlich, erhaben, tragisch, komisch, unfassbar brutal und gefährlich, sondern auch listig und belehrbar. Nicht nur im Märchen, wo der böse Wolf sich als Grossmutter verkleidet oder Kreide frisst, um seinen bodenlosen Fresstrieb stillen zu können. Auch im real existierenden Leben können Wölfe offenbar lernen, Herdenschutzmassnahmen zu umgehen. Und manche suchen den Weg des geringsten Widerstands und spezialisieren sich auf Nutztiere mit mangelhaft ausgebildetem Fluchtinstinkt. Gegenüber Menschen verhalten sich Wölfe bis anhin eher scheu, es sei denn, sie fühlen sich provoziert, dann beissen sie zu, das ist ihre Natur.
Alles wird gut – Kolumnen von Ursula von Arx
Natürlich wollen auch die Freunde des Wolfes diese nicht vollends schrankenlos walten lassen, so weit geht ihr Romantizismus nicht. Sie fordern, dass elektrifizierte Zäune, Hirten und Herdenschutzhunde zur Regel werden. Hier die Weide, dort die Wildnis. Und der wilde Wolf muss lernen, wo er hingehört. Leben mit dem Wolf wollen auch die Wolfsversteher verständlicherweise nicht. Sie wollen nur wissen, dass es ihn gibt dort draussen, wo kein Mensch und keine Mutterkuh ist.
Der strenge Schutz des Wolfes soll beibehalten werden, um das ihm angetane Unrecht der Vertreibung wiedergutzumachen. Die Wolfsversteher wollen dem Wolf ein Mensch sein. Alles wird gut.
Ursula von Arx kennt nur einen Wolf, den sie mag: Akela aus dem «Dschungelbuch». Von Arx schreibt jeden zweiten Montag im Blick.