Kolumne «Abgeklärt & aufgeklärt» über wirtschaftliche Zusammenhänge
Der Staat, der permanente Weihnachtsmann

Prämienverbilligungen, Teuerungsausgleich der AHV- und IV-Renten und was da sonst noch ist und kommt: Der Staat gibt das Geld mit vollen Händen aus. Wessen Geld eigentlich?
Publiziert: 03.10.2022 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 02.10.2022 um 17:45 Uhr
Manche sehen im Staat einen pausenlosen Geschenke-Geber.
Foto: Philippe Rossier
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René ScheuPhilosoph und Geschäftsführer des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP)

«Das Verständnis der Stimmbevölkerung für wirtschaftliche Zusammenhänge schwindet.» Das ist ein Satz wie eine Bombe. Der Satz stammt nicht von mir, sondern von Ueli Maurer, Noch-Vorsteher des Eidgenössischen Finanzdepartements. Und er hat recht: Wir lernen tatsächlich gerade, dass im Leben der Menschen zuerst die wirtschaftliche Wirklichkeit kommt und erst dann die Rettung der Welt, oder in Brechts Worten: Zuerst das Fressen, dann die Moral.

Was Maurer jüngst gesagt hat, ist keine Publikumsbeschimpfung. Vielmehr ist es eine nüchterne Bestandesaufnahme, die einem Vermächtnis gleichkommt. Es ist unter Wohlstandsbürgern zum Common Sense geworden zu glauben: Der Wohlstand der Schweiz ist gegeben; und was gegeben ist, steht uns allen zu; wir haben einen verbürgten Anspruch darauf. Folgerichtig sehen sich die meisten Volksvertreter als Retter des Wohlstands für ihre Bürger: Dank der Macht ihrer klugen Massnahmen!

Was der Staat hat, muss er sich zuerst holen

Der Nationalrat will angesichts der Inflation von 3,5 Prozent und steigender Energiekosten das Manna weiterer Prämienverbilligungen an die Bürger verteilen. Einig sind sich Nationalrat und Ständerat bereits darin, den vollen Teuerungsausgleich der AHV- und IV-Renten durchzusetzen. Sofort und sogleich. Jetzt. Per Knopfdruck, also Beschluss. Der Staat hats, der Staat gibts. Warum auch sollte er nicht geben?

Das Problem ist natürlich: Der Staat hats gar nicht. Er muss, was er haben will, sich immer erst holen – von anderen Bürgern. Der deutsche Ökonom Wilhelm Röpke sprach einst von der vierten Dimension der Wirklichkeit, an die alle aus vollem Herzen glauben, weil es so schön bequem ist, an sie zu glauben: die Dimension des Staates als eines «permanenten Weihnachtsmanns». In Wahrheit ist aber jede Forderung an den Staat – oder jede Versprechung des Staates – bloss eine vermittelte, das heisst: eine Forderung an die übrigen Staatsbürger.

Gewinner und Verlierer der Zauberökonomie

Nur, wer sind diese denn? Es sind die tendenziell Wohlhabenderen, die hart gearbeitet haben; es sind die Jüngeren, die im politischen Prozess wenig zu sagen haben; es sind die Ungeborenen, die sowieso alles bloss zu erdulden haben. Verteilung von Reich zu Arm, von Jung zu Alt, von Ungeboren zu Geboren – das sind die Zeichen modernen staatlicher Zauberökonomie.

Und dass man den meisten Bürgern zumutet, in schwierigen Zeiten zu verzichten, zu sparen, zu priorisieren – und die wirklich Notleidenden gezielt unterstützt? Undenkbar. Der Weihnachtsmann ist zu schön, um nicht wahr zu sein. Er schenkt, alle sind happy. Oder auch nicht.

René Scheu ist Philosoph und Geschäftsführer des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) in Luzern. Er schreibt jeden zweiten Montag im Blick.

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