Kolumne «Abgeklärt & aufgeklärt» über den neuen Rassimus
Die Schweiz im Stammeskampf

Geschlecht, Ethnie und sexuelle Orientierung zählen heute mehr als Leistung, Kompetenz oder Charakter. Der vermeintliche Kampf um Gleichheit führt zu einer neuen Form von Rassismus.
Publiziert: 25.07.2022 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 25.07.2022 um 09:24 Uhr
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René ScheuPhilosoph und Geschäftsführer des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP)

Alle gegen alle im grossen Stammeskampf: So fühlt sich Gesellschaft im Jahr 2022 an. Frauen gegen Männer (und umgekehrt). Schwarze gegen Weisse (und umgekehrt). Homosexuelle gegen Heterosexuelle (und umgekehrt). Transsexuelle gegen Homosexuelle (und umgekehrt). Kaum zu glauben, aber wahr: Geschlecht, Hautfarbe und sexuelle Orientierung sind heute wieder zu den wichtigsten Wesensmerkmalen geworden, um unterschiedliche Menschen in einer Art neuer Ständegesellschaft zu sortieren.

Wir lesen und hören es täglich: Nur Stammesvertreter sind berechtigt, über den eigenen Stamm zu reden, alles andere wäre kulturelle Aneignung. Und am besten reden sie auch gleich nur noch mit den eigenen Stammesbrüdern und -schwestern. Jedem sein Ghetto. Universale Werte, menschliche Vernunft, eine kulturübergreifende Moral, gar ein Weltethos? Alles bloss Fake, um zu verschleiern, wie der patriarchische Stamm alle anderen unterdrückt.

Alle gegen alle

Was wie die krude Karikatur einer neuen Apartheid klingt, ist zum Refrain der gediegenen Tischkonversation auch in der Eidgenossenschaft geworden. Die Theorien der neuen Apartheid wurden an amerikanischen Universitäten der West- und Ostküste in den friedlich-frivolen Jahren seit dem Ende des Kalten Krieges ausgebrütet.

Im Zentrum steht eine weitgehend faktenfreie Machttheorie, die aber über eine hohe Suggestivkraft verfügt: In den gesellschaftlichen Verhältnissen geht es immer und überall nur um Macht – also um Unterdrückung. Der Staat mit seinen Gesetzen ist bloss eine grosse Unterdrückungsmaschine, ebenso wie alle Firmen und Organisationen. Und der Alltag ist ein Kampf aller gegen alle, bloss haben es noch nicht alle gemerkt.

Weg mit dem Ghetto-Getue!

Diese Weltsicht ist zutiefst zynisch und menschenfeindlich. Aber Aktivisten in den sozialen und Journalisten in den klassischen Medien tun das Ihre, um die Gesellschaft damit ständig zu beschallen. In aller Öffentlichkeit wird so ein rassistischer Blick eingeübt – äusserliche Merkmale, mithin Geschlecht, Ethnie und sexuelle Orientierung, zählen mehr als Leistung, Kompetenz oder Charakter. Und es ist dieser Blick, der die Entscheidungsträger von Staats- und Privatwirtschaft zunehmend bestimmt: Sie selektieren Menschen nach offen rassistischen Kriterien.

Man fühlt sich an den orwellschen Neusprech erinnert: Die ungleiche Behandlung von Menschen erfolgt neuerdings im Namen der Gleichheit. Exklusion ist Inklusion. Rassismus ist Antirassismus. Rache ist Gerechtigkeit. Bei Orwell steht: «Die richtige Gesinnung zu haben, bedeutet, dass man nicht denkt, nicht zu denken braucht.» Schauen deshalb so viele einfach zu, schweigen, machen mit? Oder haben sie Angst? Doch wovor eigentlich? Weg mit diesem Ghetto-Getue!

René Scheu ist Philosoph und Geschäftsführer des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) in Luzern. Er schreibt jeden zweiten Montag im Blick.

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