Kolumne «Abgeklärt & aufgeklärt» über Kostenwahrheit im Verkehr
Warum Velofahren nicht nachhaltig ist

Das Velo gilt als nachhaltigstes Verkehrsmittel unserer Zeit. Stimmt das wirklich? Die Bilanz des Freiburger Wirtschaftsprofessors Reiner Eichenberger kommt zu einem andern Schluss.
Publiziert: 13.06.2022 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 12.06.2022 um 22:05 Uhr
Gefährliches Pflaster: Velofahrer, wie hier in Zürich, verursachen viele Unfälle und so Gesundheitskosten zulasten der Allgemeinheit.
Foto: Keystone
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René ScheuPhilosoph und Geschäftsführer des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP)

Was ich mit meinem alten Mountainbike schon an Berggipfeln erklommen und Städten unsicher gemacht habe! Das Velo ist eine grossartige Erfindung. Es verspricht Geschwindigkeitsrausch, Trainingseffekt, meditatives Gleiten oder Umweltgenuss. Die «NZZ» schwärmte zu Recht einmal vom «humansten und freiheitlichsten Verkehrsmittel» in der Geschichte der Menschheit. Der Mensch – auf dem Velo findet er zur eigenen Statur und Form.

Problematisch wird es da, wo das Velo zum nachhaltigsten Verkehrsmittel der Gegenwart verklärt wird, das dem Radler höhere moralische Weihen verleiht. Und so gibt es den Weltfahrradtag, den die Uno ausgerufen hat, und natürlich darf auch der Europäische Tag des Fahrrads nicht fehlen. Das Velo als Selbsterlösungsmaschine für Menschen zur Bewältigung ihrer tief empfundenen Fortbewegungsscham.

Es geht um die Kostenwahrheit

So hehr das Ansinnen, so weltfremd ist es zugleich. Denn auch höhere Moral muss in der Wirklichkeit verankert sein, wenn sie nachhaltig wirken soll. Aber Nachhaltigkeit lässt sich in der Menschenwelt nur ganzheitlich verstehen – und das Ganze hat drei Aspekte: einen ökologischen, einen gesellschaftlichen und einen ökonomischen.

Daran erinnert uns der Freiburger Ökonomie-Professor Reiner Eichenberger, für manche das Enfant terrible seiner Zunft, in Wahrheit aber ein cooler ganzheitlicher Denker. Eichenberger hat eine Nachhaltigkeitsbilanz für das Velo erstellt, die auf der Grundlage von Zahlen des Bundesamts für Raumentwicklung beruht. Dabei berücksichtigt Eichenberger sämtliche durch die Velofahrer nicht gedeckten Infrastruktur-, Betriebs-, Umwelt-, Gesundheits-, Unfall- und Lärmkosten. Das Zauberwort heisst «Kostenwahrheit»: Mit 22 Rappen pro Personenkilometer ist demnach das Velo dreimal weniger nachhaltig als das Auto mit gut 7 Rappen pro Personenkilometer.

Moralische Massstäbe zurechtrücken

Wie kann das sein? Ganz einfach: Velofahrer verursachen viele Unfälle und so Gesundheitskosten zulasten der Allgemeinheit, und sie tragen im Gegensatz zu den Autofahrern die Kosten für Infrastruktur und Betrieb nicht selbst. Noch nicht einmal berücksichtigt in Eichenbergers Zahlen ist der Energieverbrauch der Velofahrer, der ja in die Vollen geht. Der Moralist von heute mag sich gar nicht ausmalen, welche Folgen es für die Ökobilanz hat, wenn die Velofahrer auch noch zum Fleischverzehr neigen.

Kostenwahrheit könnte auch im Falle des Velos eine wohltuende Wirkung haben: Sie zeigt den Velokönigen ihre Grenzen auf, sie zähmt politische Forderungen zum unkritischen Ausbau der Infrastruktur fürs Zweirad – und sie rückt die moralischen Massstäbe unter den Verkehrsteilnehmern zurecht.

Dennoch: Auf mein Mountainbike lasse ich natürlich nichts kommen.

René Scheu ist Philosoph und Geschäftsführer des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) in Luzern. Er schreibt jeden zweiten Montag im Blick.

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