Kolumne «Abgeklärt & aufgeklärt» über politische Farbenlehre
Triumph der guten Laune über den grauen Staat

Die Regenbogengesellschaft meint, sie sei farbenfroh und biete Platz für jede Schattierung des Individualismus. Tatsächlich aber dominiert das Grau des Konformismus.
Publiziert: 19.04.2022 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 19.04.2022 um 08:06 Uhr
Heiter sein in einer verdüsterten Welt: So der Appell des deutschen Philosophen Peter Sloterdijk.
Foto: imago
René Scheu

Darf man heiter sein in einer verdüsterten Welt? Man darf nicht, man muss! Das ist die Lektion von Peter Sloterdijk, dem heitersten aller Philosophen seit Friedrich Nietzsche. Heiter ist, wer die Dinge lustiger nimmt, als sie es verdienen – und wer zugleich zur Kenntnis nimmt, was andere ignorieren.

Sloterdijks neues Buch «Wer noch kein Grau gedacht hat» liefert eine Farbenlehre der gesellschaftspolitischen Gegenwart. Was wir heute erleben, ist das Resultat der «Umfärbung aller Farbwerte»: Von Blau bis Rot, von Gelb bis Grün, alles fliesst zusammen zu einem Grau in Grau. In der Diktion des heiteren Sloterdijk: «Jenseits von Gefallen und Missfallen gibt Grau den Zeitgenossen unserer Tage die farblose Allfarbe der entfremdeten Freiheit zu sehen.»

In Alltagssprache übersetzt: Wir glauben in einer Regenbogengesellschaft zu leben, in der sich alle durch Eigensinn, Eigenheit und Eigenständigkeit hervorheben. Aber die Idylle trügt: Unter bunten Frisuren, verbleichten Tattoos und leuchtenden Parteifarben verbirgt sich überall derselbe allgraue Konformismus des Geistes.

Bürokratie schafft mehr Bürokratie

Der unsichtbare Graumacher in unser aller Leben hat einen Namen: Staat. Der Konformismus entpuppt sich als antrainierter Etatismus: Wo ein Problem ist, muss Staat werden. In allen Handlungen und Transaktionen der Bürger ist der grosse Graue immer schon anwesend, ohne dass er bemerkt würde. Er nimmt, was ihm zusteht, und gibt, was er will. Sein Grauton schlägt auf alles durch, was er fördert, fordert, erlaubt und verbietet. Bürokratie verlangt nach noch mehr Bürokratie, Politik gebiert noch mehr Politik.

Wer an die Macht will, muss ergrauen. Je grauer eine Partei, desto regierungsfähiger ist sie. Macht korrumpiert die Farbigkeit, auch in Demokratien. Doch die überbordende Staatstätigkeit schwächt den demokratischen Staat zugleich – wer für alles zuständig ist, ist für nichts mehr verantwortlich. Auch der umsorgte Bürger nicht.

Postdemokratische Wechseljahre

An den Rändern demokratischer Gross-Grauer erheben sich derweil autoritäre Systeme und hochkorrupte Regimes, in der ein Promille der Bevölkerung alle anderen in Angst und Schrecken versetzt. Wie soll das alles enden? Der heitere Philosoph träumt von einer «anarchischen Renaissance» oder einer «liberalen Brise» in Europa. Ansonsten gehört die Zukunft nach Sloterdijk «einer ökobürokratisierten Verordnungspolitik, die dem so unterkompetenten wie überbeanspruchten Staat den Weg in seine postdemokratischen Wechseljahre vorschreibt».

Könnte einem da das Lachen nicht vergehen? Es könnte, aber es sollte nicht. Der Wille zur Heiterkeit ist der Anfang aller Veränderung.

René Scheu ist Philosoph und Geschäftsführer des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) in Luzern. Er schreibt jeden zweiten Montag im Blick, wegen Ostermontag erscheint seine Kolumne ausnahmsweise heute Dienstag.

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