Ungleichheit – die Passion wohlhabender Gesellschaften! Stets aufs Neue faszinieren die Rankings der Reichsten. Zugleich finden heisse Debatten über Abzocker statt, die mit ihren Millionensalären das Volksempfinden irritieren. Ist hier eine Zweideutigkeit, ja eine milde Form von Schizophrenie am Werk?
Höchstens auf den ersten Blick. Denn die dargestellten Reichen sind für gewöhnlich Entrepreneurs, unternehmerische Familien oder Sportler, die es unter Einsatz eigenen Geldes und Efforts geschafft haben, nach oben zu kommen oder da zu bleiben. Sie haben Skin in the Game. Abzocker sind hingegen per definitionem Menschen, die mit dem Geld anderer Leute spielen. Sie streichen grossen Profit ein, ohne ihre Haut zu riskieren.
Das Volksempfinden, es empfindet also differenziert.
Karl Marx verbrüdert sich mit Robin Hood
Der französische Ökonom Thomas Piketty, der Star der Ungleichheitsdebatte, argumentiert anders. Sein Kernsatz: Teilhabe bringt Fortschritt. Übersetzt: Wer viel hat, hat zu viel und muss es teilen.
In seinem neuen Buch «Der Sozialismus der Zukunft» erweist sich Piketty als eine Mischung aus Karl Marx und Robin Hood im 21. Jahrhundert. Wie Marx beklagt er die bestehende Ungleichheit in Vermögen und Einkommen – wiewohl er zugleich mit viel Zahlenmaterial verdienstvoll belegt, dass die Ungleichheit in beiden Bereichen weltweit und in Europa über die letzten 100 Jahre deutlich zurückging. Es geht voran, aber für ihn zu wenig schnell.
Deshalb empfiehlt Piketty Rezepte nach Art von Robin Hood: Denen, die (zu) viel haben, wegnehmen und es den anderen geben. Seine Forderung: eine heftig progressive Einkommens-, Erbschafts- und Vermögenssteuer bis zu 90 Prozent und obendrauf eine neue CO2-Steuer. Seine Versprechen: für alle eine Erbschaft im Alter von 25 und ein leistungsloses Grundeinkommen. Klingt paradiesisch, aber ist es das auch?
Wohlstand kommt nicht aus der Schatztruhe
Natürlich haben weder kleinere noch grössere Unternehmer eine Schatztruhe im Keller, aus der sie Simsalabim ihre Dukaten nehmen können, um die Angestellten zu bezahlen. Sie sind stattdessen eher verschuldet und knapp bei Kasse, weil das ganze Geld im Unternehmen steckt. Und das Unternehmen erzeugt, wenn es denn seine Leistung am Markt erbringt, Wertschöpfung: Den Löwenanteil davon bekommen die Mitarbeiter. Ein stabiler Anteil von 70 Prozent des Volkseinkommens geht in der Schweiz an die Lohnempfänger.
Die Basis gesellschaftlichen Wohlstands ist nicht die Schatztruhe, sondern Unternehmertum. Versagen die unternehmerisch handelnden Menschen, bezahlen sie den Preis. Reüssieren sie, gewinnen auch die Mitarbeiter. Reicher macht, was Arbeit schafft.
René Scheu ist Philosoph und Geschäftsführer des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) in Luzern. Er schreibt jeden zweiten Montag im Blick.