Kolumne «Abgeklärt & aufgeklärt» über Steuergerechtigkeit
Vom Geben und Nehmen

Gut ein Viertel der steuerpflichtigen Bevölkerung in der Schweiz bezahlt keine Bundessteuer. Das ist nicht in Ordnung. Niemand sollte nur nehmen, jeder und jede sollte auch geben – und sei es noch so wenig.
Publiziert: 28.11.2022 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 27.11.2022 um 22:39 Uhr
Rund ein Viertel der Schweizer Bürger bezahlt keine Steuern an den Bund. Im Bild das Bundeshaus in Bern.
Foto: Keystone
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René ScheuPhilosoph und Geschäftsführer des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP)

Das bestgehütete Geheimnis des modernen Staates sind die Steuern. Woher kommen sie? Wohin gehen sie? Wer bezahlt wie viel? Und was gibts dafür im Gegenzug?

Einst waren Steuern Tribute eroberter Völker an die Eroberer. Im Mittelalter wurden sie von Fall zu Fall erhoben, wegen aussergewöhnlicher Umstände, zumeist im Kriegsfall. Erst viel später ist der moderne Fiskalstaat entstanden, wie wir ihn heute kennen: aus der Idee des permanenten Notstandes. Immer fehlt es ihm an Geld, und er braucht nun mal, was er braucht. Und die Bürger geben so viel, wie sie zu geben haben. Steuern sind Zwangsabgaben, die dem Staat voraussetzungslos geschuldet sind.

Benjamin Franklin, ein Gründungsvater der USA, notierte in einem Brief an einen französischen Freund im November 1789: «In dieser Welt ist nichts gewiss – ausser dem Tod und den Steuern.» Der Klang der Worte bewegt sich irgendwo zwischen Resignation und Sarkasmus, aber Franklin hat natürlich recht.

Seit die Revolutionäre in Frankreich und die Unabhängigkeitskämpfer in den USA ihre Arbeit getan haben, ist allen Staatsbürgern in den neuen Nationen klar: Steuerprivilegien, die dem Adel und dem Klerus vorbehalten waren, sind abgeschafft. Alle Citoyens, die solche sein wollen, haben ihren Beitrag zum Gemeinwesen nach Kräften zu leisten. Ehrensache. Oder doch nicht?

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Der Steuerschmerz soll bei allen Bürgern gleich hoch sein.
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In der Schweiz bezahlen gut 25 Prozent der steuerpflichtigen Bevölkerung keine Bundessteuer – mehr als auch schon. Derweil bestreiten die obersten 10 Prozent der Einkommensbezüger über 80 Prozent der Bundessteuern. Das Verhältnis sticht ins Auge, weil die Bundessteuer, 1940 als Wehrsteuer eingeführt und später perpetuiert, besonders progressiv ausgestaltet ist (nimmt man alle Einkommenssteuern, bezahlen die oberen 10 Prozent in der Schweiz etwas mehr als 50 Prozent). Wer mehr verdient, bezahlt nicht nur absolut, sondern auch relativ mehr – der Steuerschmerz soll bei allen Bürgern gleich hoch sein.

Die Steuerprogression ist ein heisses Eisen – Karl Marx hat sie im «Kommunistischen Manifest» vehement gefordert. In der Schweiz ist sie jedenfalls demokratisch legitimiert. Zugleich wirkt jedoch ein Steuersystem, das 25 Prozent der steuerpflichtigen Personen von der Zwangsabgabe ausschliesst, wie aus der Zeit gefallen. Denn einerseits steckt im Wort «Zwangsabgabe» der «Zwang», und gar manche möchten gerne weniger geben. Aber zugleich steckt im Wort auch «Gabe» – man sollte die Gebebereitschaft der Menschen nicht unterschätzen. Nur wer nicht nur nimmt, sondern auch gibt, und sei es wenig, verdient es, Citoyen im vollen Sinne zu sein.

René Scheu ist Philosoph und Geschäftsführer des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) in Luzern. Er schreibt jeden zweiten Montag im Blick.


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