Kolumne «Abgeklärt & aufgeklärt» über den Populärphilosophen
Precht – vom Medienliebling zum Medienkritiker

Der deutsche Populärphilosoph Richard David Precht (57) ist bei den Medien nicht mehr so populär wie früher – weil er sich mit ihnen anlegt. Precht tut es zu Recht.
Publiziert: 17.10.2022 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 16.10.2022 um 18:27 Uhr
Richard David Precht am 14. Oktober in der NDR-Talkshow. Der Populärphilosoph hat sich mit den Medien angelegt.
Foto: IMAGO/Eventpress
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René ScheuPhilosoph und Geschäftsführer des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP)

Richard David Precht. Ein Name, ein Erfolgsrezept. Die Karriere des Populärphilosophen kennt seit Jahren nur eine Richtung: nach oben. Er war (und ist) auf allen Kanälen präsent, er ist produktiv, er ist einfühlsam und markant zugleich. Doch nun hat ausgerechnet er, eben noch der grosse Liebling der Medien, sich mit ebendiesen Medien angelegt.

Plötzlich ist Feuer im Dach. Precht wird als Rechthaber hingestellt. Als Oberlehrer. Als Mansplainer. Die Komikerin Carolin Kebekus darf nun sogar auf ARD in einem Rap-Video über den ZDF-Denker herziehen: «Wer ist King of Stress / wäre gern Deutschlands Sokrates / Denkt, er hat immer recht, NEIN! / Richard David Precht.»

Was nicht Mitte ist, gilt als radikal

Doch, Precht hat recht. Sein neues, mit dem Soziologen Harald Welzer verfasstes Werk «Die vierte Gewalt – Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist» verspricht eine Menge Erkenntnisgewinn. Die Autoren erklären darin den Konformismus in Medien und Politik, ohne auf Verschwörungstheorien zurückzugreifen.

Ihr Ursprungsbefund: Die Politik repräsentiert die Anliegen der meisten Bürger nicht mehr, es klafft eine Repräsentationslücke zwischen veröffentlichter und öffentlicher Meinung. Es gibt die Politik der All-Einheits-Parteien der angeblichen Mitte (von grün bis liberal), und der Rest gilt als radikaler Rand. Die Folgen: Politabstinenz und Medienskepsis nehmen zu. Doch wie ist das möglich, wenn sich doch alle angeblich um die Mehrheitsmeinung kümmern?

Precht und Welzer argumentieren wie folgt: Für Politiker gilt längst das Motto «Sein ist Wahrgenommen-Sein» – die Politakteure werden von den Medien getrieben. Journalisten-Aktivisten begründen einen «geschlossenen Kommunikationsraum», in dem nach den Regeln des «group think» die gefühlte Mehrheitsmeinung des eigenen Milieus dominiert. Die kann beliebig schnell und oft ändern, siehe die Haltung zu Anti-Corona-Massnahmen, Gender-Politik oder Russlands Krieg gegen die Ukraine.

Die Macht der Splitter auf Twitter

Denn die gefühlte Mehrheitsmeinung kommt nicht durch Rückkoppelung an die lebendige Zivilgesellschaft zustande, sondern überwiegend durch Twitter-Konsum. Insofern sind Journalisten oft selbst Getriebene. Und auf Twitter setzt sich die Meinung jener Minderheit durch, die am brutalsten diffamiert und diskreditiert. So wird aus der Position einer Splittergruppe – siehe Sprachpolitik, siehe MeToo – die angebliche Mehrheitsmeinung in Medien und Politik. Und die echte Mitte versteht die Welt nicht mehr.

Precht und Welzer haben lange das Aufmerksamkeitsspiel der Medien mitgespielt. Doch nun haben sie es satt. Zum Glück! Doch bleiben sie dabei?

René Scheu ist Philosoph und Geschäftsführer des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) in Luzern. Er schreibt jeden zweiten Montag im Blick.

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