Kolumne «Abgeklärt & aufgeklärt» über «gendergerechte» Wortwahl
Das Sternchen und der Sprachputsch von oben

Kim de l’Horizon (30) hat nach der Buchpreisverleihung starke Auftritte hingelegt. Doch mit der Verwendung des Gendersternchens tut der neue Stern am Literaturhimmel der Sprache keinen Gefallen.
Publiziert: 31.10.2022 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 01.02.2023 um 09:04 Uhr
René Scheu

Es gibt kaum ein Medium, das es versäumte, den «Literaturpreisträger im Damenrock» («NZZ») nicht zu zeigen: Kim de l’Horizon, Träger des deutschen Buchpreises 2022. Der Literat will sich nicht auf eine geschlechtliche Identität reduzieren lassen, er versteht sich weder als Mann noch als Frau, sondern als geschlechterreich.

Die Medien, von Natur aus voyeuristisch, führten den neuen Literaturstar wie eine Zirkusattraktion vor: Schnauz, Dreitagebart und Lippenstift, was für eine Schockwirkung! Tatsächlich war da jedoch eine ebenso graziöse wie schöne Person zu sehen, die mutig und empathisch eine eigene Position formuliert. In einem starken Essay in der «NZZ», in dem Kim de l’Horizon Ueli Maurer zu einem Bier einlädt, heisst es: «Ich spreche nicht für ‹die› trans* und nonbinären Personen.» Stattdessen: «Ich spreche nur für mich.» Und später nochmals, staccatoartig: «Ich – stehe – für – mich.»

Starke Ich-Haltung

Ein starkes Statement. Denn die Welt wimmelt von anwaltschaftlichen Sprechern, die ohne Mandat und demokratische Legitimation im Namen irgendwelcher Minderheiten oder Kollektive daherreden. Im Widerspruch zu dieser Ich-Haltung, die viel innere Stärke verlangt, steht allerdings Kim de l’Horizons Verwendung der angeblich «gendergerechten Sprache» mit Sternchen. In seinem Essay finden sich Ausdrücke wie «keine*r», «Journalist*innen», «Hausautor*in».

Das Sternchen soll den Fokus auf Mann und Frau aufbrechen, bewirkt aber genau das Gegenteil: eine vollständige Sexualisierung der Sprache. Und wenn die Sprache erst mal sexualisiert ist, fühlt sich immer jemand ausgeschlossen. Diese Sprachpolitik, eigentlich ein Sprachputsch anmassender Geschlechtspolizisten, ist alles andere als gendergerecht. Und es liegt ihr ein grundlegendes Missverständnis zugrunde: die Gleichsetzung von sprachlichem Genus (männlich, weiblich, sächlich) und biologischem Geschlecht.

Mit Gendergerechtigkeit nichts zu tun

Wenn von Schulen die Rede ist, die nach neuen Lehrern suchen, sind damit nicht Männer gemeint – sondern eben alle Lehrkräfte, die über Willen und Kompetenz verfügen, an Schulen zu unterrichten. Also: alle. Diese Form des sprachlichen Ausdrucks nennt sich das generische Maskulinum. Und sie hängt nicht mit einem klischeehaften Patriarchat zusammen, sondern entspricht sowohl der Logik der deutschen Sprache als auch dem Empfinden der meisten Sprachbenutzer.

Natürlich darf jeder, auch Kim, das Sternchen verwenden. Doch hat dies mit Gendergerechtigkeit nichts zu tun. Die Frage bleibt – warum unterwerfen sich so viele freiwillig dem Joch der Sprachputschisten?

René Scheu ist Philosoph und Geschäftsführer des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) in Luzern. Er schreibt jeden zweiten Montag im Blick.

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