Erben ist paradox. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, die sich um sozialen Ausgleich bemüht. Trotzdem wird «unverdientes Geld» vererbt, und zwar ganz viel an ganz Wenige. Wie passt das zu sozialer Gerechtigkeit in einer demokratischen Gesellschaft? Und warum waren einst sogar Kapitalisten vehemente Kritiker des Erbens?
Schon in der Antike hatten Menschen ihre Besitztümer nach dem Tod vererbt. Doch im Mittelalter wurde Erben zum religiösen Zauberwort, das Vergangenheit und Zukunftsvision verband: Die Christen inszenierten sich als Erben Jesu mit der Aussicht auf das ewige Paradies im Jenseits. Damit es mit dem grossen Heilsversprechen klappte, konnte man mit irdischen Erbschaften nachhelfen. Bettelmönche auf der Suche nach Klostersponsoren beteuerten deshalb: Wer sein Vermögen der Kirche vermachte, hatte einen sicheren Platz im Himmel.
Beim Erben gings auch um Status und Macht. Adelige gaben Titel und politische Ämter an die nächste Generation weiter. Und die Mitgift stellte sicher, dass Töchter einen einflussreichen Ehemann ergatterten – eine Art Erbvorbezug für die Heiratspolitik der Wohlhabenden. Auch am unteren Ende der Gesellschaft reproduzierte sich die soziale Hierarchie: Sklavinnen vererbten die eigene Unfreiheit an ihre Nachkommen.
Mit der Aufklärung kamen die Erbreformer: Kein Geld ohne Arbeit, lautete ihr Credo. Für liberale Denker wie Adam Smith zählte vor allem die Wirtschaft: Dem freien Markt entgingen Vermögen, wenn faule reiche Erben ihr Geld horteten. Karl Marx fand Erben schlicht ungerecht. Sozialisten wie Kapitalisten waren sich einig: Erben muss verboten werden!
Doch an die Familie, die heilige Kuh der Neuzeit, traute sich niemand ran. Für die lieben Kleinen schuften und den Besitz über Generationen zusammenhalten – eigentlich ein Relikt aus Zeiten, als Adel und Klerus noch die Welt regierten.
Immerhin führten viele Staaten im 19. Jahrhundert eine Erbschaftssteuer ein, vor allem um ihr Militär zu finanzieren. Ein scharfes Schwert im Kampf gegen soziale Ungleichheit war sie aber nie. Zum einen wird die Erbschaftssteuer seit ihrer Einführung unterlaufen – Stichwort Familienstiftung, mit der sich selbst ernannte Wohltäter über demokratische Spielregeln hinwegsetzen und die Gesellschaft nach ihrem Gusto gestalten. Zum anderen ist die Erbschaftssteuer viel zu tief und tut niemandem wirklich weh.
Mehr von Allemann und Schenk
Die Geschichte zeigt: Soziale Gerechtigkeit und Erben schliessen sich aus. Für demokratische Staaten und ihr Versprechen einer gerechten Gesellschaft ist das ein Problem. Die Erbschaftssteuer kann dies nur abfedern, wenn sie kräftig erhöht wird, und zwar für alle: zuerst und mit besonders hohen Sätzen für die Superreichen, dann für die KMU-Schweiz und schliesslich für jeden Hausbesitzer.