Die Wohnungsnot geht um. Und sie ist breit gestreut. Ob mittellose Obdachlose auf der Strasse, einkommensschwache Personen oder wohlhabende Mittelständler – sie alle haben Schwierigkeiten, eine Wohnung zu finden. Doch trennt sie mehr, als sie verbindet. Denn die «Wohnungsfrage» ist eine soziale Frage, das wusste schon Friedrich Engels, der berühmte Verbündete und Financier von Karl Marx.
Kapitalisten mit einer sozialen Ader waren auch die Fugger. In Augsburg lancierten sie im 16. Jahrhunderts das erste soziale Wohnbauprojekt im deutschsprachigen Raum, um «armen taglönern und hanndtwerkhern» aus der Patsche zu helfen. Weniger Glück hatten die Bedürftigen in Paris. Im 18. Jahrhundert gingen die Mietpreise durch die Decke, und tausende Familien zogen von Wohnung zu Wohnung, klammheimlich und ohne Bezahlung – Mietnomaden der Vormoderne.
Noch prekärer wurde die Lage in den rasant wachsenden Städten zur Zeit der Industrialisierung. Alle zogen dorthin, wo es Arbeit gab und vielleicht ein besseres Leben. Bezahlbare Wohnungen fanden die wenigsten. Ergatterte man doch eine, war man Untertan des Vermieters. Eine kleine Gruppe Spekulanten rieb sich die Hände: Ihnen gehörte der Boden. Woran lags? «It’s the economy, stupid», erkannte der Berliner Statistiker Ernst Engel bereits im 19. Jahrhundert. So schnell die Nachfrage stieg, so schleppend hinkte der Häuserbau hinterher. Wohnungen als Ware und Menschen als Opfer der «unsichtbaren Hand».
Zum freien Markt gesellte sich im 20. Jahrhundert ein neuer Player: der Staat. Er griff ein, wenns zur Krise kam. Der Erste Weltkrieg verschärfte ein altes Problem: Zu wenige Wohnungen für immer mehr Leute trafen auf eine einbrechende Baubranche, die weder Kapital noch Risikobereitschaft besass. In der Schweiz intervenierte der Staat, und zwar radikal: Er beschlagnahmte sogar leer stehende Wohnungen. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg sprang der Staat kurzzeitig ein, und wieder mit Erfolg. Dann kam der Wohlstand, doch der schuf ein neues Problem: die Einpersonenhaushalte. Und – schwupps – war die Wohnungsnot wieder da.
Nun traten die Bildungsbürger in Aktion. Sie waren in den 1980ern die Treiber der Demos und Hausbesetzungen. Für das alternative Milieu war das auch ein Akt der Selbstverwirklichung, denn Protest muss man sich leisten können. Genau wie heute: Die Debatte läuft erst dann richtig heiss, wenn gut situierte Akademiker die Wohnung im Lieblingsquartier nicht mehr bezahlen können – und dabei das Gespenst der Obdachlosigkeit heraufbeschwören.
Doch wer spricht für diejenigen, die schlecht bezahlte Jobs stemmen und in ihrem Leben nie etwas anderes als die Agglo gesehen haben? Und wer für die Obdachlosen? Solidarität ist offenbar immer nur dann gefragt, wenns ums eigene Interesse geht. Dagegen hilft nur eines, wie die Geschichte zeigt: Der Staat muss dem freien Markt klare Grenzen setzen – und zwar sofort und dauerhaft.