Der Fall «Republik» und die eitle Medienbranche
Ich bin der allergeilste Typ

Die Missbrauchsvorwürfe beim linken Onlinemagazin erinnern an eine seltsame Eigenschaft der Medienbranche: Die Sehnsucht nach Stars.
Publiziert: 03.09.2023 um 03:33 Uhr
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Aktualisiert: 02.09.2023 um 23:34 Uhr
Verantwortliche in der Defensive: Sexismus-Fall erschüttert die «Republik»-Redaktion (Archivbild).
Foto: KEYSTONE
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Dass Journalisten mit Vorliebe über Journalisten berichten, liegt nicht nur daran, dass Journalisten Journalisten sind, sondern auch daran, dass das Völklein der Journalisten besonders viel Stoff für Journalisten liefert.

In diesen Tagen ist gerade die «Republik» an der Reihe. Worum gehts? Ein Reporter des Online-Magazins an der Zürcher Langstrasse soll mehrere Berufskolleginnen bedrängt und sexuell belästigt haben. Seit zwei SRF-Redaktoren den Fall in einer Radiosendung publik machten, sind die Verantwortlichen in der Defensive: Wieso versteckte sich die Führungscrew zwei Monate lang untätig hinter juristischen Formalitäten? War es in Ordnung, dass die damalige Chefredaktion Warnungen einer Mitarbeiterin vor der Einstellung des Mannes in den Wind schlug?

Es gibt da aber noch die Frage, wie öffentlichkeitsrelevant es ist, wenn sich ein Angestellter ohne Personalverantwortung in seinem Privatleben möglicherweise fehlbar verhalten hat (und vieles abstreitet).

Um die Beiträge über die Angelegenheit zu rechtfertigen, wird nimmermüde auf den Status des Angeschossenen hingewiesen. Der geschätzte Kollege wird von seinen Scharfrichtern zum Star erhoben, zum schreibenden Sonntagskind, stets nach der nächsten grossen Story wühlend, seinen Mitbewerbern, die noch im Schnee von gestern stochern, immer um eine Nasenlänge voraus. Wir lernen: Offenbar gibt es nicht nur Filmstars, Rockstars und Weltstars, sondern – selbst in der kleinen Schweiz – auch allerhand Star-Reporter, Star-Journalisten und Star-Schreiber. Die Branche scheint so hungrig nach Erlöserfiguren zu sein wie der Jerusalemer Pöbel im Monty-Python-Film «Life of Brian».

Ein solcher Götzenkult ist für die Entwicklung junger journalistischer Talente mit testosterongetränktem Selbstverständnis – ich bin der allergeilste Typ – natürlich verheerend.

Der Fall des Überfliegers von der «Republik» mag dessen Neider befriedigen, vielleicht aber auch den zwischenmenschlichen Umgang in Redaktionen verbessern. Die Journalisten indes könnten darauf achtgeben, in Zukunft etwas weniger Stoff für Journalisten zu liefern.

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