Editorial über das Wahlkampfthema Migration
Was die SVP verschweigt

Die grösste Partei im Land baut an der «Zehn-Millionen-Schweiz», vor der sie warnt, tatkräftig selber mit.
Publiziert: 20.08.2023 um 00:14 Uhr
|
Aktualisiert: 21.08.2023 um 17:06 Uhr
SonntagsBlick-Chefredaktor Reza Rafi.
Foto: Thomas Meier
Bildschirmfoto 2024-04-02 um 08.40.24.png
Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

«Das isch d'SVP!»

Im spätsommerlichen Hitzeflimmern steuert die Schweiz auf die heisse Phase des Wahljahrs zu – vor allem aber geben politische Kabarettnummern zu reden.

Der Bundespräsident kuriert auf einem Love Mobile seine Angst vor einem Bedeutungsverlust. Und die grösste Partei im Land trumpft mit einer Video-Posse um Thomas Matter aliasDJ Tommy auf. Dessen Song «Das isch d’ SVP!» habe er selbst komponiert, versichert der Zürcher Nationalrat. Bloss erkennt sogar ein Schwerhöriger «We Are Family», den Disco-Ohrwurm aus den Siebzigern, in der Melodie.

Wenn die SVP-Prominenz nicht gerade am Tanzen ist, bewirbt sie ihre drei liebsten Wahlkampfthemen: Ausländer, Ausländer, Ausländer. Mit Erfolg, wenn man den Umfragen glauben kann.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.

Man soll sich nicht verrenken müssen, um offen zu sagen, dass Einwanderung Probleme mit sich bringt. Um 47'200 Personen wuchs die Bevölkerung im ersten Halbjahr 2023; in der Vorjahresperiode waren es 37'816. Die Zuwanderung belastet die Infrastruktur und verschärft die Wohnungskrise. Asylmissbrauch und der Clash mit fremden Wertvorstellungen kommen hinzu.

Doch verschweigt die SVP ihren potenziellen Wählern grosszügig die andere Seite der Geschichte: Die meisten Eingewanderten sind in diesem Jahr Deutsche, gefolgt von Portugiesen, Italienern, Franzosen. Das sind keine «schwarzen Schafe», sondern Fachleute, vom Krankenpfleger bis zur Informatikerin. Ohne die würden Branchen wie das Gesundheitswesen oder der Tourismus kollabieren. Unter Gastwirten, Gewerblern oder Bauunternehmern ist die SVP bekanntlich bestens vertreten. Genauso wie in den bürgerlich dominierten Kantonen, die mit Steuerrabatten und anderen finanziellen Anreizen den Standortwettbewerb befeuern – und damit den Zuzug neuer Einwohner beschleunigen. «Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Sündenböcke», könnte man frei nach Max Frisch sagen.

Der aktuelle SVP-Wahlslogan «Wir wollen keine 10-Millionen-Schweiz» ist darum ein hohler Spruch, der die Widersprüche der Migrationspolitik kein bisschen lindert. Ebenso wenig wie Politiker im Dance-Modus.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?