So befeuert die Schweiz mit aktiver Unterstützung der SVP die Zuwanderung
«Switzerland – the ideal location for headquarters»

Bund und Kantone tun alles, um zusätzliche Jobs ins Land zu holen. Ausländische Firmen werden mit der Personenfreizügigkeit geködert, Expats mit Steuererleichterungen. Die SVP trägt diese Wachstumsstrategie mit – und wettert über die «Bevölkerungsexplosion».
Publiziert: 20.08.2023 um 00:14 Uhr
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Aktualisiert: 22.08.2023 um 13:44 Uhr
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Die Europaallee in Zürich: Die Schweiz ist attraktiv – und wächst deshalb.
Foto: Philippe Rossier
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Thomas SchlittlerWirtschaftsredaktor

Am 22. Oktober wählt die Schweiz ein neues Parlament, kommenden Samstag lanciert die SVP ihren Wahlkampf: Bei einem Mega-Event in der Zürcher Swiss Life Arena wird die mächtigste Partei des Landes einmal mehr ihren mutigen, einsamen Kampf gegen den Rest der Welt besingen.

Die Zugpferde an diesem Tag heissen Blocher, Maurer, Ogi, Spuhler, Köppel. Auf der Bühne stehen auch Parteipräsident Marco Chiesa (48) sowie die Bundesräte Guy Parmelin (63) und Albert Rösti (56). Sie dürften die Massen mit einem SVP-Evergreen in Jubel versetzen: dem Lied von der Masseneinwanderung, die unser Land gefährdet.

Bereits im Juli lancierte die Partei ihre Nachhaltigkeits-Initiative, mit der Forderung: «Keine 10-Millionen-Schweiz!» Damit trifft sie einen Nerv, nicht nur bei der eigenen Klientel.

Vor allem die Tatsache, dass es beinahe unmöglich geworden ist, irgendwo im Land bezahlbaren Wohnraum zu finden, beschäftigt grosse Teile der Bevölkerung. Das Mantra von SP und Grünen, dafür seien einzig «Spekulation und Gier» der Immobilienkonzerne verantwortlich, wirkt wenig überzeugend: Mitte-links überlässt die Diskussion über negative Aspekte der Zuwanderung abermals den Rechten.

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SVP legt sich die Zahlen zurecht

Die Behauptung der SVP, die Eidgenossenschaft sei dem «Zustrom von über 180'000 Menschen in einem einzigen Jahr» ausgesetzt, ist irreführend, denn im gleichen Zeitraum haben Zehntausende das Land wieder verlassen. Tatsache ist aber auch, dass die ständige ausländische Wohnbevölkerung allein 2022 um 81'345 Personen zugenommen hat. Die Folge dieses Trends: In den vergangenen 15 Jahren ist die Gesamtbevölkerung von 7,6 auf 8,8 Millionen Menschen angewachsen.

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Der Bund begründet die hohe Zuwanderung mit der «stark steigenden Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt». Das ist unbestritten. Was allerdings so gut wie nie thematisiert wird: Die Schweiz erzeugt diese Nachfrage zumindest teilweise selbst. Bis heute betreiben Bund und Kantone eine Standortpolitik, die voll darauf ausgerichtet ist, immer noch mehr Firmen und Arbeitsplätze in die Schweiz zu holen – und dies mit aktiver Unterstützung der SVP!

Steuersenkungen für Unternehmen treiben Zuwanderung an

Bestes Beispiel sind Steuersenkungen für Unternehmen. Prominenter Werber für diese Massnahmen war der frühere Finanzminister und SVP-Bundesrat Ueli Maurer (72). 2022 warnte er in der «NZZ am Sonntag»: «Der Vorsprung der Schweiz im Steuerwettbewerb schmilzt, wir dürfen nicht noch mehr preisgeben.»

Zahlen des Beratungsunternehmens KPMG zeichnen ein anderes Bild: 2005 belief sich der durchschnittliche Gewinnsteuersatz in den Kantonen auf 22 Prozent, 2022 waren es nur noch 14,7 Prozent. Auf einen Gewinn von 100 Millionen Franken musste ein Unternehmen 2005 demnach 22 Millionen an den Fiskus abliefern. Heute werden für den gleichen Gewinn im Schnitt nur noch 14,7 Millionen fällig – ein Drittel weniger.

Und das ist noch nicht alles: Wenn ein Unternehmen mit einem Investitionsprojekt Arbeitsplätze in ausgewählten Regionen schafft, kann es in der Schweiz teilweise oder sogar vollständig von Steuern befreit werden.

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Parmelin empfiehlt Ansiedlungsspsezialisten zu kontaktieren

Die Ansiedlungsförderer von Bund und Kantonen posaunen diese Standortvorteile lautstark in alle Welt hinaus. An vorderster Front: SVP-Bundesrat Guy Parmelin. Im «Handbuch für Investoren» von Switzerland Global Enterprise, der Organisation für Export- und Investitionsförderung, ruft der Wirtschaftsminister den Leitern internationaler Konzerne zu: «Wir möchten, dass auch Ihre Firma Teil dieser Erfolgsgeschichte wird.»

Um die «spezifischen Vorzüge» der Schweiz auszuloten, empfiehlt Parmelin das Gespräch mit «Ansiedlungsspezialisten»: «Sie kennen die Anliegen und Bedürfnisse international tätiger Firmen bestens und können Sie tatkräftig unterstützen.»

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Die Greater Zurich Area (GZA), die das Standortmarketing für Glarus, Graubünden, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, Tessin, Uri, Zug und Zürich betreibt, lässt ebenfalls nichts unversucht, um zusätzliche Arbeitsplätze in die Schweiz zu holen. So wird auf der Website etwa die «Verfügbarkeit von Talenten» als grosser Vorteil des Landes angepriesen. Ausschlaggebend dafür seien das ausgezeichnete Schweizer Bildungssystem – und das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der Europäischen Union.

Damit werden Firmen also bereits vor ihrer Ankunft darauf aufmerksam gemacht, dass sie ihre Arbeitsplätze in der Schweiz problemlos mit ausländischen Arbeitskräften besetzen können.

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«Wir von der SVP waren nie dagegen, dass die Wirtschaft die nötigen Fachkräfte bekommt»
Magdalena Martullo-Blocher (54)
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Und die SVP trägt dieses Marketing mit: Mit den Regierungsräten Marianne Lienhard (55, GL) und Dino Tamagni (55, SH) sitzen bei der GZA zwei prominente Parteimitglieder im Stiftungsrat.

Wie passt das zusammen? Ist es kein Widerspruch, dass Vertreter der SVP aktiv Standortpromotion betreiben und Steuergeschenke für Firmen unterstützen, während die Partei lautstark über eine «Bevölkerungsexplosion» klagt?

Magdalena Martullo-Blocher (54), Parteiverantwortliche für Wirtschaftspolitik, hat damit kein Problem. «Wir von der SVP waren nie dagegen, dass die Wirtschaft die nötigen Fachkräfte bekommt», schreibt sie auf Anfrage von SonntagsBlick. Es gehe der Partei viel mehr darum, dass das Asylrecht auch angewendet und die Zuwanderung in die Sozialwerke unterbunden werde.

Fremdwort Selbstkritik

Parteipräsident Marco Chiesa sieht ebenfalls keinen Anlass zur Selbstkritik. Auch der Tessiner verweist auf das angebliche «Asylchaos» und bemängelt, dass die Wirtschaft trotz rekordhoher Zuwanderung über Fachkräftemangel klage: «Es kommen offensichtlich zu viele und die Falschen in die Schweiz. Das müssen wir ändern.» Allfälligen Anpassungen bei der Standortpolitik jedoch erteilt er eine Absage: «Wir müssen sicher nicht noch erfolgreiche Unternehmen und gute Steuerzahler vertreiben!»

Die grösste Schwachstelle dieser Argumentation: Menschen, die vor Krieg oder Armut flüchten, sind nur für einen relativ geringen Teil der Zuwanderung verantwortlich. 2022 wurden in der Schweiz 24 511 Asylgesuche gestellt – die Ukrainer, die um den Schutzstatus S ersuchten, sind nicht miteingerechnet. Die grosse Mehrheit der Zuzüger hingegen kommt aus beruflichen Gründen in die Schweiz, in aller Regel aus EU-Ländern.

Realitätsfremd

Einigermassen weltfremd mutet es zudem an, wenn die SVP behauptet, sie habe kein Problem mit Fachkräften, sondern nur – nochmals Chiesa – mit «Billigarbeitern, Familiennachzüglern, Asyl- und Sozialschmarotzern».

Die hoch qualifizierte IT-Fachfrau braucht schliesslich nicht nur eine Wohnung, sondern sie geht auch einkaufen, ins Restaurant, zum Arzt, zum Coiffeur und ins Fitnesscenter. Dass sie bereit ist, ihre Kinder im Heimatland zu lassen, ist illusorisch. Sehr wahrscheinlich kommen also auch noch eine Reinigungskraft und Babysitter hinzu.

Kurz: Jede Fachkraft, die in die Schweiz kommt, schafft zusätzlich geringer qualifizierte Jobs – für die sich wiederum oft nur ausländische Arbeitskräfte finden lassen.

Erwünscht: Superreiche Ausländer

Dessen ungeachtet legt die Schweiz auch ausgewählten Privatpersonen fremder Nationalität den roten Steuerteppich aus. Für reiche Ausländer, die ihren Wohnsitz in der Schweiz haben, hier aber keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, bieten die meisten Kantone Pauschalbesteuerung an. In diesem System werden Superreiche anhand ihrer Lebenshaltungskosten besteuert statt wie alle anderen auf Grundlage ihres Einkommens und Vermögens.

2014 wurde die Initiative «Schluss mit den Steuerprivilegien für Millionäre» in einer nationalen Volksabstimmung abgelehnt – ganz im Sinne der SVP.

Die Vorzüge der Expats

Expats werden steuerlich ebenfalls bevorzugt behandelt. Wer einen entsprechenden Vertrag hat, profitiert von Steuererleichterungen, von denen die einheimische Bevölkerung – und ausländische Bauarbeiter, Pfleger und Putzkräfte – nur träumen können.

Abzugsfähig sind etwa die Kosten für den Umzug in die Schweiz, die Wohnkosten in der Schweiz bei Beibehaltung einer ständigen Wohnung im Ausland und die Kosten für den Unterricht an fremdsprachigen Privatschulen.

Das Ganze ist auf fünf Jahre befristet. Wie viele Expats aktuell von solchen Steuerprivilegien profitieren, weiss aber weder die Eidgenössische Steuerverwaltung noch die Finanzdirektion des Kantons Zürich.

2014 forderten zwei Motionen von SP und Grünen, die entsprechenden Steuerprivilegien für Expats abzuschaffen. Die bürgerlichen Parteien aber waren dagegen, die SVP sogar einstimmig.

Kein einziger Vertreter der Volkspartei sah ein Problem darin, dass gut bezahlte Expats vom Fiskus besser behandelt werden als Schweizerinnen und Schweizer. Bei der Wahlkampf-Party in der Swiss Life Arena ist dies voraussichtlich kein Thema …

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