Mit einer Volksinitiative in den Wahlkampf ziehen: Das ist ein altbewährtes Rezept der Parteien in einem Wahljahr. Schon vor Monaten hat die SVP angekündigt, im Sommer eine (erneute) Initiative zur Begrenzung der Zuwanderung zu lancieren. Die Rechtspartei setzt auch in diesem Wahlkampf ganz auf die Karte Migration.
Am Samstag ist es nun so weit. An einem Sonderparteitag zum Thema Asyl und Migration wird die SVP in Küssnacht SZ die Unterstützung für die Initiative «Keine 10-Millionen-Schweiz!» beschliessen, die sie auch «Nachhaltigkeits-Initiative» getauft hat.
Schweiz müsste Personenfreizügigkeit künden
Offiziell lanciert wird das Volksbegehren dann am Dienstag. Aus Ressourcen-Gründen ist es nicht die SVP Schweiz, die den Lead hat. Sie will sich im Wahljahr um anderes als ums Unterschriftensammeln kümmern. Doch im Präsidium sitzen mit Präsident Marco Chiesa (48), Fraktionschef Thomas Aeschi (44), Nationalrat Thomas Matter (57) und weiteren Parteivertretern hochrangige SVPler.
Die Initiative fordert eine Art Einwanderungsbremse für die Schweiz. Wie «CH Media» berichtete, sieht der Initiativtext vor, dass die Schweiz bis 2050 nicht über 10 Millionen Einwohner wachsen darf. Liegt die Zahl bei 9,5 Millionen, soll der Bundesrat Gegenmassnahmen ergreifen müssen. Konkret: das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU künden. Den genauen Text wird die Partei erst nächste Woche enthüllen.
Wirtschaft warnt
Die Wirtschaft ist alarmiert. Anfang Woche luden der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse und der Arbeitgeberverband zu einer Medienkonferenz, um aufzuzeigen, wie wichtig die Zuwanderung für die Schweizer Wirtschaft ist. Auch das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) ist offensichtlich nervös und präsentiert kommende Woche, nur wenige Stunden vor der SVP-Medienkonferenz, einen Bericht zur Personenfreizügigkeit.
Welche Rolle spielen Ausländer auf dem Schweizer Arbeitsmarkt tatsächlich? Und wie viele leben hier ohne Job? Blick liefert die wichtigsten Fakten:
Ohne Ausländer stünde die Schweiz still
Die Abhängigkeit der Schweiz von ausländischen Arbeitskräften ist enorm: Ausländer machen knapp ein Drittel der Erwerbstätigen im Land aus – das sind mehr als 1,75 Millionen Menschen. Tendenz: seit Jahren steigend. Was ebenfalls deutlich zugenommen hat: Die Zahl der Grenzgänger, die jeden Tag zur Arbeit einreisen. Sie machen mittlerweile 21,9 Prozent der ausländischen Arbeitskräfte in der Schweiz aus. Die meisten davon arbeiten in Grenzkantonen wie den Kantonen Tessin, Wallis, Basel oder Genf. Würden sie alle einen Tag lang daheimbleiben, stünde die Wirtschaft in den betroffenen Regionen still.
Ausländer bauen die Schweiz von morgen
Ohne ausländische Arbeitskräfte würden sich die Tourismuskantone im Land massiv entvölkern: Ganze 49 Prozent der Angestellten im Gastgewerbe sind aus dem Ausland. Ohne sie müsste ein Grossteil der Schweizer Arbeitsbevölkerung über Mittag daheim kochen. Die ausländischen Erwerbstätigen bauen auch kräftig an der Schweiz von Morgen mit. So beschäftigt das Baugewerbe zu 35 Prozent Ausländer. Im Gesundheits- und Sozialwesen sind es immerhin 23 Prozent. Das Schweizer Gesundheitssystem stünde ohne ausländische Arbeitskräfte vor dem Kollaps.
Wie Schweizer Angestellte profitieren
Ausländer füllen also gerade die freien Stellen bei Jobs, die viele Schweizer als zu anstrengend empfinden – oder bei denen ihnen die Bezahlung zu gering ist. Auf der anderen Seite verfügt etwa die Hälfte der Einwanderer, die über die Personenfreizügigkeit aus der EU in die Schweiz kommen, über eine Tertiärausbildung, wobei diese etwa wichtige Jobs in der IT-Branche übernehmen. Dadurch entstehen andere, gut bezahlte Jobs, in denen oft Schweizer arbeiten. Das Staatssekretariat für Wirtschaft kommt deshalb zum Schluss, dass das Personenfreizügigkeitsabkommen für die Schweiz ein Gewinn ist.
Deutlich öfters von Arbeitslosigkeit betroffen
Im Mai machte der Ausländeranteil 50,2 Prozent der 88'076 Arbeitslosen in der Schweiz aus. Damit stehen Ausländer deutlich öfters ohne Job da. Die Arbeitslosenzahlen erfassen jedoch nur, wer bei einem regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) gemeldet ist. Aussagekräftiger ist der Anteil der Erwerbslosen, der im 1. Quartal 2023 bei 4,3 Prozent lag. Die Erwerbslosenquote enthält auch Personen, die nicht beim RAV gemeldet sind – beispielsweise, weil sie bereits ausgesteuert sind. Bei Schweizern beträgt sie 3,2 Prozent, bei ausländischen Staatsangehörigen 7,2 Prozent. Bei Menschen aus Drittstaaten ist die Quote praktisch doppelt so hoch.
Ausländer verdienen fast 1000 Franken weniger
Hauptgrund für die deutlich höhere Erwerbslosigkeit unter Ausländern dürfte das Bildungsniveau sein. So liegt die Erwerbslosenquote bei Personen mit Sekundarstufe 1 als höchstem Abschluss bei 8,5 Prozent.
Bei Sek 2 sind es 4 Prozent, bei einem Tertiärabschluss gar nur 3,2 Prozent. Und mehr als jeder vierte Erwerbstätige aus dem Ausland hat bloss einen Sek-1-Abschluss. Ihr Anteil ist damit 2,5 Mal so hoch wie bei Schweizer Erwerbstätigen. Besonders oft trifft dies auf Arbeitskräfte aus dem Süden oder Osten Europas sowie aus Drittstaaten zu. Das tiefere Ausbildungsniveau widerspiegelt sich auch in den Mediangehältern: So verdienen Schweizer auf eine Vollzeitstelle gerechnet im Schnitt 6988 Franken pro Monat, während es bei Ausländern nur 6029 Franken sind.