Ein Kämpfer für die Ärmsten der Welt ist verstummt
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Das Leben von Papst Franziskus:Ein Kämpfer für die Ärmsten der Welt ist verstummt

Adiós, Francisco!
Die Welt ist kälter ohne Dich

Die Reformen in der katholischen Kirche gehen viel zu langsam. Trotzdem war Franziskus ein grosser Papst: Ein Anti-Trump, der fehlen wird.
Publiziert: 10:18 Uhr
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Aktualisiert: vor 24 Minuten
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Papst Franziskus und Blick-Redaktor Raphael Rauch im Januar 2024.

Darum gehts

  • Papst Franziskus hat die Kirche verändert: Öffnung für Dialog und Reformen
  • Franziskus förderte Dezentralisierung und gab Schwachen und Entrechteten eine Stimme
  • Viele Probleme bleiben in der katholischen Kirche trotzdem vorhanden
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Um zu verstehen, wie sehr Papst Franziskus die Kirche verändert hat, hilft folgende Anekdote. 2013, erst ein paar Monate nach seiner Wahl zum Papst, trifft der Argentinier Franziskus lateinamerikanische Ordensleute. Franziskus sagt zu ihnen: «Reisst die Türen auf! Ihr werdet Fehler machen, ihr werdet anderen auf die Füsse treten. Das passiert!» Vielleicht würden sie sogar Rüffel-Briefe aus Rom erhalten, aber: «Macht euch darüber keine Sorgen. Tut dort etwas, wo der Schrei des Lebens zu hören ist. Mir ist eine Kirche lieber, die etwas falsch macht, weil sie überhaupt etwas tut, als eine Kirche, die krank wird, weil sie sich nur um sich selbst dreht.»

Franziskus hat als Erzbischof von Buenos Aires selbst die Erfahrung gemacht, dass der Vatikan ein Parallel-Universum ist, das nicht immer gemäss der Botschaft Jesu handelt. 

Viele ungelösten Probleme

Die kirchlichen Dauerbrenner sind nach wie vor nicht gelöst: Frauen sind in der Kirche nur Menschen zweiter Klasse – sie können nicht Priesterinnen werden, erst recht nicht Bischöfinnen oder Päpstin. Die Sexualmoral der katholischen Kirche ist heuchlerisch: Hinter den Kulissen des Vatikans können Priester machen, was sie wollen – nach aussen müssen sie aber den zölibatären Schein wahren. Bei der Aufarbeitung des Missbrauchskomplexes geht die Kirche nicht konsequent voran.

Und doch hat Franziskus die Kirche umgekrempelt. Unter den Vorgänger-Päpsten Johannes Paul II. und Benedikt XVI. herrschte in der katholischen Kirche ein Klima der Angst. Der grosse Schweizer Theologe Hans Küng (1928–2021) musste sogar seinen Lehrstuhl räumen, weil er für Rom zu eigenständig dachte. All das war mit Franziskus vorbei. Statt päpstlicher Diktatur öffnete Franziskus einen Raum fürs Zuhören, fürs Gemeinsam-sich-auf-den-Weg-machen – in der Kirchensprache heisst das Synodalität. Statt Monolog setzte Franziskus auf Dialog. 

Weniger Rom, mehr Basis

Natürlich geht das Reformtempo viel zu langsam voran. Aber, nur zur Erinnerung: Wie schwierig ist es, die Schweiz mit vier Sprach- und Kulturregionen zu regieren? Und wann hat in der Schweiz der letzte Kanton das Frauenstimmrecht eingeführt (1990)? Zur katholischen Kirche gehören 1,4 Milliarden Menschen, die vor unterschiedlichen Herausforderungen stehen: von Hunger und Krieg (Ukraine, Gaza, Sudan und 120 weiteren Regionen) bis zur Einsamkeit in wohlstandsverwahrlosten Gesellschaften.

Franziskus konnte die Kirche nicht von heute auf morgen auf den Kopf stellen. Aber er hat einen Prozess angestossen, der die Kirche langfristig verändern wird: Er hat eine «heilsame Dezentralisierung» eingeleitet – weniger Rom, mehr Basis. Dahinter kommt kein Papst mehr zurück. Vor allem aber: mehr «Schrei des Lebens». Franziskus will eine Kirche, die ungemütlich ist, sich einmischt und den Schwachen, Entrechteten und Schutzlosen eine Stimme gibt.

Das Christentum ist eine einzige Provokation

«Diese Wirtschaft tötet», sagt Franziskus über den Kapitalismus – nur eine von vielen Sätzen des Pontifex, die bürgerlichen Politikern in der Schweiz ebenso wenig gefallen dürften wie US-Präsident Donald Trump (78). Erst am 11. Februar verschickte der Papst noch einen Brief an die US-Bischöfe, in dem er Trumps Abschiebe-Politik wehrloser Migranten geisselte. 

Franziskus’ «Schrei nach dem Leben» ist radikal und eine Zumutung für alle, die es sich in ihrer Komfortzone eingerichtet haben. Aber nichts anderes ist die Botschaft Jesu: eine einzige Provokation, den eigenen Lebensstil und die eigenen Wertvorstellungen zu hinterfragen. Und Leben und Liebe, nicht Egoismus, Hass und Hetze ins Zentrum zu stellen.

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