Für seine Ärzte war Papst Franziskus ein schwieriger Patient. Einer, der sich nicht schonen wollte. Einer, der lieber weiterarbeitete, als das Bett zu hüten. Doch wer sich mit den Mächtigen der Welt anlegt und für Frieden und Gerechtigkeit kämpft, darf sich nicht schonen, so Franziskus' Devise. Im Alter von 88 Jahren ist das Oberhaupt der katholischen Kirche gestorben.
«Buona sera!» – eine Rede begeistert die Welt
Die wichtigste Rede, die Franziskus als Papst gehalten hat, war spontan und improvisiert. «Buona sera!», sagte der Argentinier lächelnd auf dem Petersplatz nach seiner Wahl am 13. März 2013. Er verzichtete auf rote Schuhe und den Bling-Bling seiner Vorgänger. Nur in Weiss gekleidet, auch ohne den traditionellen roten Schulterumhang, stellte er sich als Hirte «vom anderen Ende der Welt» vor. Er bat die Menschen auf dem Petersplatz um seinen Segen, bevor er die Menschen segnete. Danach ging er zu einem Kardinal im Rollstuhl und umarmte ihn.
So einen Papst hatte die Welt noch nicht gesehen. Zum ersten Mal in der Kirchengeschichte wurde ein Mann Papst, der aus Lateinamerika stammt. Ein Ordensmann, der ein Leben lang gegen Armut und Unrecht in seiner Heimat gekämpft hatte. Er wählt den Namen des Bettelmönchs Franz von Assisi: Franziskus. Würde dieser Mann die katholische Kirche reformieren? Würde er ein Papst der Herzen sein?
Ein Papst – in aller Bescheidenheit
Jorge Mario Bergoglio kommt am 17. Dezember 1936 als Sohn eines Buchhalters in Buenos Aires auf die Welt. Er jobbt als Türsteher und Hausmeister, ehe er Chemie studiert und als Techniker in einem Lebensmittellabor arbeitet. Mit 22 tritt er den Jesuiten bei. Mit 33 wird er Priester, 1998 Erzbischof von Buenos Aires. 2001 ernennt ihn Papst Johannes Paul II. zum Kardinal.
Jorge Bergoglio ist kein Heiliger. Er verliebt sich, später hadert er mit dem Leben. Über seine genaue Rolle in der argentinischen Militärdiktatur 1976–1983 gehen die Meinungen auseinander. Später sagt er, er verdanke einer jüdischen Psychoanalytikerin sein Leben. Sie habe ihn in einer Lebenskrise gerettet.
Diese Bodenhaftung behält er sich als Papst. Franziskus ist volksnah. Uneitel. Er zieht nicht in den Apostolischen Palast, sondern ins Gästehaus Santa Marta. Er will sich nicht abschotten, sondern unter den Menschen sein. Wenn er den Herrscher von Bahrain besucht, fährt er demonstrativ im Fiat vor. Demut, Bescheidenheit, radikaler Einsatz für die Armen: Die Botschaft Jesu treibt Franziskus an.
Franziskus war der Papst der Flüchtlinge
Immer wieder besucht der Pontifex Flüchtlingszentren in Europa. Seine erste Reise als Papst führt ihn auf die Flüchtlingsinsel Lampedusa. Franziskus verurteilt die Gleichgültigkeit der Welt gegenüber dem Schicksal von Flüchtlingen. Das Mittelmeer nennt er den «grössten Friedhof Europas». Rassismus ist für den Papst eine «Sünde gegen Gott».
Er fordert die Bekämpfung des Waffenhandels. Und er fordert die Unterstützung der Seenot- und Flüchtlingsretter. «Die Zusammenarbeit zwischen Nationen, internationalen Organisationen und humanitären Einrichtungen muss unermüdlich gefördert werden, und diejenigen an der Front müssen unterstützt und nicht auf Distanz gehalten werden», mahnt der Papst in einer Rede 2016.
Immer eine klare politische Botschaft
Für Obdachlose lässt er rund um den Petersplatz Duschen bauen und Hunderte von Schlafsäcken verteilen. Franziskus lädt Häftlinge zum Essen ins Gästehaus. Auch als die Pandemie tobt, geht der Pontifex mit gutem Beispiel voran: Er lässt sich impfen. Und er ermuntert seine Gläubigen, ihm zu folgen. Die Impfung nennt er einen «Akt der Liebe».
Franziskus bezieht Stellung zum Angriffskrieg gegen die Ukraine und bietet sich als Vermittler für Friedensgespräche an. Als Lateinamerikaner hat er jedoch eine andere Perspektive auf den Krieg: Er sagt, die Nato habe «vor den Toren Russlands gebellt». Und wenn viel Geld für Waffen ausgegeben werde, fehle es an anderer Stelle. Anders als viele europäische Politiker hat Franziskus stets die ganze Welt im Blick: Die Verbrechen im Sudan und im Nahen Osten kritisiert er ebenso wie jene in Myanmar und Lateinamerika.
Auch sucht der Papst den Dialog mit China. Weltpolitisch wünscht sich Franziskus die Annäherung verfeindeter Staaten sowie einen atomwaffenfreien Planeten. Und er mischt in der Klimapolitik mit. Der Vatikan-Diplomatie gelingt es immer wieder, zu vermitteln. Alt Bundesrätin Doris Leuthard (61) sagte zu kath.ch: «Der Heilige Stuhl hat das Pariser Klima-Abkommen gerettet.» Ein Abkommen, von dem sich die Politik mehr und mehr entfernt.
Für Klimaschutz, gegen Neoliberalismus
Franziskus befürwortet Massnahmen gegen die globale Erwärmung und wettert gegen den ungezügelten Kapitalismus. Der Einsatz für «Mutter Erde», wie in Lateinamerika die Schöpfung genannt wird, ist ihm zentral. Er setzt sich für die zwei Lungenflügel der Erde ein, wie der Papst sie nennt: für die Amazonas-Region und das Kongo-Becken. Ohne Schöpfung keine Zukunft.
Als Gewissen der Menschheit kann der Papst symbolisch handeln, Zeichen setzen. Innerhalb der katholischen Kirche setzt er einen Reformkurs und legt sich mit Traditionalisten auf aller Welt an, vor allem mit dem mächtigen US-Katholizismus. Manchen gehen die Reformen nicht schnell genug, anderen gehen sie viel zu weit. Franziskus öffnet den Weg für Diskussionen um die Abschaffung des Zölibats und das Diakonat für Frauen. Er mahnt, Geschiedene, Homosexuelle und Transgender seien Teil der Kirche. Er setzt sich für die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen ein – aber nicht konsequent genug. Historikerinnen der Uni Zürich warten bis heute auf eine Öffnung der Vatikan-Archive.
Brücken bauen – auch im Bistum Chur
Die Schweizer Kirche hat Papst Franziskus viel zu verdanken: Franziskus besuchte 2018 den Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf. Eine Institution, die früher wichtiger war als heute – die aber wegen des Dialoges mit der russisch-orthodoxen Kirche eine Brückenbauerin im Hintergrund ist. Vor allem schaffte es Franziskus, mit der Ernennung von Bischof Joseph Maria Bonnemain (76) einen Brückenbauer fürs Bistum Chur zu finden. Obwohl reaktionäre Kreise in Chur versuchten, Bonnemain zu verhindern, bewies der Papst mit dessen Ernennung ein glückliches Händchen.
Mit dem Tod von Franziskus verliert die Kirche ein tatkräftiges, gradliniges Oberhaupt – und die Welt einen Papst der Herzen. Ein Mann, der vom anderen Ende der Welt kam, um die Herzen aller Menschen zu erreichen. Ob diese katholisch, jüdisch, muslimisch oder atheistisch waren – das war dem Papst gar nicht so wichtig. «Fratelli tutti», wir sind alle Geschwister: Auf diese Botschaft kam es dem Papst an. Eine Botschaft, die in Zeiten von Trump und Co. umso mehr fehlen wird.