In Zeiten der Pandemie ist Weihnachten für viele von uns eine grosse Herausforderung. Manche Menschen suchen bei Gott vermehrt Hoffnung, Lebenssinn und Trost, andere treten aus der Kirche aus, weil sie das Vertrauen in eine höhere Macht verloren haben. Wie geht es Geistlichen in Zeiten wie diesen? Bei SonntagsBlick äussern sich drei zu ihrem Verständnis der christlichen Feiertage, ihrem persönlichen Wertewandel und ihrem Umgang mit der Angst.
Abt Urban Federer (43) vom Kloster Einsiedeln
Was bedeutet für Sie Weihnachten?
Als ich erstmals eine Weihnachtsnacht im Kloster Einsiedeln erleben konnte und die alten gregorianischen Choräle erklangen, da merkte ich: Es geht gar nicht so sehr um das kleine Kind in der Krippe, sondern um etwas viel Tieferes: um Gott, der Mensch geworden ist – und um mich. Auch ich darf mich verändern, menschlicher werden. Denn auch in mir wird Gott Mensch.
Hat sich der weihnachtliche Sinn für Sie verändert?
Ja, ich bin nicht mehr der Bub, der sich auf Christkind freut. Ich muss mir jedes Jahr neu überlegen, wie ich das ewig gleiche Fest Menschen vermittle, die sich genau wie ich auf einem Lebensweg befinden. Der Wegcharakter der Kirche ist auch der Wegcharakter jedes einzelnen Menschen. Ich möchte Weihnachten nicht nur als etwas rüberbringen, das vor 2000 Jahren geschah und seitdem Jahr für Jahr gleich gefeiert wird, sondern als ein Fest, das in unsere Zeit hineinspricht. Das ist eine Herausforderung: Für viele soll sich Weihnachten nicht verändern, wenn doch schon alles anders wird. Es soll so bleiben wie in der Kindheit. Aber dieses Fest verändert sich dennoch, weil sich unser Leben verändert, die Gesellschaft. Und zwar rasant! In dieser Spannung steht das Weihnachtsfest.
Was wünschen Sie für die Menschheit?
Die Fähigkeit, uns gegenseitig beizustehen. In den ersten Phasen der Pandemie wurde viel über die Einsamkeit alter Menschen gesprochen. Aber auch viele Jugendliche verspüren einen grossen Druck, oft auch den Hang zum Depressiven oder zumindest zur Melancholie. Sie dürfen nicht allein gelassen werden. Weihnachten kann hier eine Chance sein, uns gegenseitig zu begleiten. Gerade jetzt braucht es Geschenke, die sagen: Gut, dass es dich gibt.
Viele Menschen suchen vermehrt nach Lebenssinn und Gott. Was sagen Sie Menschen in Zeiten der Angst?
Weihnachten beginnt mit der Angst der Hirten auf dem Feld. Und dann hat sie ihre Angst zur Krippe gebracht. Wir Menschen müssen auch an Weihnachten unsere Ängste nicht unter den Teppich kehren, sondern dürfen wissen: Weil Gott Mensch wurde, kennt er diese Ängste. Die Angst ist für mich oft ein Anfang für meine Gebete und meine Suche nach Gott. Häufig führt mich die Angst so zu mehr Lebenssinn und Hoffnung.
Priscilla Schwendimann (28), lesbische Pfarrerin und erste Regenbogenpfarrerin der reformierten Kirche in Zürich
Was bedeutet für Sie Weihnachten?
Gott wird Mensch. Das heisst, Gott wendet sich uns Menschen ultimativ zu, indem er so wird wie wir alle. Indem auch Gott verletzlich wird. Es ist für mich die krasseste Liebesgeschichte, die es gibt: Nicht wir müssen Gott erreichen, sondern Gott kommt zu uns – als hilfloses kleines Kind.
Was wünschen Sie für sich persönlich?
Wieder in die Normalität zurückzukehren. Ich vermisse es, Menschen ungehemmt zu umarmen, Menschen, die ich liebe, wieder besuchen zu können. Ich bin – wie ganz viele andere Menschen – einfach müde.
Viele Menschen suchen in Zeiten der Pandemie vermehrt nach Lebenssinn und Gott. Was sagen Sie ihnen in Zeiten der Angst?
«In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.» Es ist einer der ermutigenden Sätze von Jesus für mich. Ich muss diese Pandemie nicht allein besiegen. Wir werden das schaffen, gemeinsam. Als Familien, als Gesellschaft, als Schweiz, als die Welt mit Gott an unserer Seite, das gibt mir Hoffnung.
Welche wichtigste Frage hat für Sie Gott beantwortet?
Dass ich genüge, nicht weil ich leiste oder jemand bin, sondern weil Gott mich gemacht hat. Als sein geliebtes Kind. So wie jeden und jede von uns allen.
Kommentar zu Frieden
Anja Niederhauser (41), Spital-Seelsorgerin, Pfarrerin und Trauercoach
Wie feiern Sie dieses Jahr?
Am 24. Dezember werde ich im Spital arbeiten und Patientenbesuche machen. Für viele ist es nicht einfach, Weihnachten im Spital zu verbringen. Da sind Gespräche und Entlastung wichtig. Danach haben wir – mein Mann und ich – ein Nachtessen bei meinen Eltern geplant und an Weihnachten ein gemütliches Zusammensein mit seinen Kindern. Beides sehr klein. Stand jetzt. Planungssicherheit ist durch Corona ja nicht gegeben. Wir werden uns sicher vorher testen lassen.
Hat sich der weihnachtliche Sinn für Sie verändert?
Seit ich ein Kind war, sehr. Es hat für mich weniger «Zauber», dafür mehr «Erdung» bekommen. Wenn man sagt, dass Gott Mensch geworden ist, ist das auch ein Auftrag an uns Menschen, Verantwortung füreinander zu übernehmen. Das Wunder wohnt auch in uns selbst.
Was wünschen Sie für sich?
Ein fröhliches Zusammensein trotz der schwierigen Situation rundherum. Eine kleine Zeit der Leichtigkeit.
Was für die Menschheit?
Ich spüre viele Verhärtungen und viel Frustration unter den Menschen. Ich wünsche mir, dass wir wieder lernen – vor allem auch für die nächste Zeit, die nächsten Jahre –, uns «aufzuweichen», wieder aufeinander zuzugehen und – was jetzt trennend wirkt – uns wieder zu verbinden. Kurz gesagt, dass wir einander wieder mehr zuhören.
Andere verlassen die Kirche, weil sie sich fragen, weshalb Gott die Pandemie nicht verhindert hat. Was sagen Sie ihnen?
Gott ist kein Zauberkünstler. Natürlich gibt es in der Bibel viele Geschichten von Gott, der Wunder tut. Das bedeutet für mich: Wir können immer mit Gott rechnen und Vertrauen haben, auch jetzt in der Pandemie. Aber für das Virus können wir Gott nicht die Verantwortung geben. Die müssen wir als Menschen selbst übernehmen.
Welche wichtigste Frage hat für Sie Gott beantwortet?
Die Frage nach der bedingungslosen Annahme. Ich kann darauf vertrauen, dass ich geliebt bin, genauso wie ich bin.