Sie will die Kirche bunter, diverser und vor allem auch offener für Menschen aus der LGBTQ-Szene machen: Priscilla Schwendimann (28). Seit Anfang August ist die junge lesbische Pfarrerin die erste Regenbogenpfarrerin der reformierten Kirche in Zürich. Schwendimann leitet das neugeschaffene LGBTQ-Pfarramt zusammen mit einem siebenköpfigen Team, das sich um die Bedürfnisse und Anliegen der Queer-Community kümmert. «Die Arbeit ist unglaublich erfüllend», erklärt Schwendimann beim Interview auf der Terrasse neben dem Regenbogenhaus. «Gott hat mich berufen.»
Blick: Frau Schwendimann, Sie waren Pfarrerin der Zürcher St. Peterskirche, nun sind Sie seit einem Monat die erste Regenbogenpfarrerin der reformierten Kirche der Stadt. Wie hat sich Ihr Arbeitsalltag verändert?
Priscilla Schwendimann: Er hat sich stark verändert. Mein Team und ich arbeiten intensiv an einem Konzept, um unsere Arbeit zu strukturieren, machen bei der Pride mit, bei vielen Podien und planen einen ersten LGBTQ-Gottesdienst im September. Dazu kommt sehr viel Seelsorge. Die bestimmt aktuell meinen Alltag am stärksten.
Was heisst das?
Jeden Tag wenden sich viele Menschen an mich – von sehr jung bis sehr alt. Die meisten schreiben mir über Social Media. Manche haben Angst, sich zu outen, andere suchen meinen Rat, meine Unterstützung oder wollen theologische Fragen klären. Vor kurzem hat sich eine über 70-jährige Frau bei mir geoutet. Sie hatte sich zuvor ihr ganzes Leben lang nicht getraut, zu ihrer Sexualität zu stehen. Das hat mich sehr berührt. Da stehen manche Leute wirklich vor einem Scherbenhaufen, erfuhren so viel Leid, weil sie nicht so sein durften, wie sie sind.
Wie gehen Sie mit solchen Schicksalsgeschichten um?
Es macht mich betroffen und traurig. Aber es macht mich auch stolz, dass diese Menschen jetzt den Mut haben, den Schritt zu gehen. Und es zeigt auch, wie wichtig es ist, dass wir immer noch darüber reden. Wenn ein Gespräch zu belastend wird, hilft mir mein Glaube. Ich muss diese Trauer und Last nicht selbst tragen, sondern darf sie Gott abgeben. Andererseits gibt mir die Seelsorge auch sehr viel. Es ist unglaublich bereichernd, Menschen zuzuhören, die sonst nicht gehört werden.
Als Pfarrerin sind Sie über Social Media erreichbar, treffen für die Seelsorge Menschen, die Sie vorher noch nie getroffen haben. Fürchten Sie manchmal um Ihre Sicherheit?
Nein. Obwohl ich auch schon ein paar Stalker hatte. Aber ich vertraue da ganz auf mein Bauchgefühl und ich bin sehr vorsichtig. Ich treffe die Leute immer an öffentlichen Plätzen. Vielen fällt es da auch leichter, über ihre Anliegen zu sprechen.
Sie sind die berühmteste lesbische Pfarrerin der Schweiz. Wie gehen Sie mit Anfeindungen um?
Ich versuche sie nicht persönlich zu nehmen. Seit einem Jahr führe ich sogar einen Ordner mit Hass-Mails (lacht). Aktuell sind es bereits über 900 Stück. Natürlich gibt es auch Momente, in denen mich Anfeindungen verletzen, ich mich schütze und sie nicht lese. Meistens habe ich aber an meinem 16-Stunden-Tag gar keine Zeit dafür, mich lange mit Negativität zu beschäftigen.
Ihre Agenda scheint prall gefüllt zu sein. Wie geht Ihre Partnerin damit um?
Ich habe eine wunderbare Frau, die mich sehr unterstützt. Es ist wirklich ein Geschenk, dass ich sie habe. Und nicht nur sie. Unsere Familien unterstützen uns sehr. Wir haben wunderbare Freunde. Ihnen kann ich blind vertrauen. Wir beten auch oft gemeinsam. Für dieses Umfeld bin ich sehr dankbar. Denn als meine Frau und ich uns damals geoutet hatten, war das nicht so. Da hatten wir diese Unterstützung nicht.
Sie sind in einer strenggläubigen Freikirche aufgewachsen, die Homosexualität ablehnt. Wie sehr prägen diese Erfahrungen Sie heute noch?
Diese Erlebnisse haben mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Und sie haben mich näher zu Gott gebracht, denn Gott hat mich nie verlassen. Natürlich gibt es auch heute noch Momente, in denen ich daran zurückdenke und dadurch verletzlicher bin. Dann passe ich besonders gut auf mich auf. Ich bin glücklich, dass es mir heute so gut geht, und ich fühle mich privilegiert. Als junge Theologiestudentin hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich mich mal als LGBTQ-Pfarrerin für die Ehe für alle einsetzen kann.
Warum braucht es die Ehe für alle?
Wir haben die gleichen Pflichten, aber nicht die gleichen Rechte. Wir haben keine Hinterlassenenrente, kein Einbürgerungsrecht, keinen Zugang zur Fortpflanzungsmedizin. Zudem weiss man, dass in den Ländern, in denen alle heiraten dürfen, die Diskriminierung gegenüber Queers stark abgenommen hat und die Akzeptanz steigt. Ich verstehe nicht, wie man gegen die Ehe für alle sein kann – auch aus religiöser Sicht nicht. Denn Gott ist für die Gleichberechtigung. Und Gott ist auch divers, sonst würde er uns nicht divers erschaffen
.
Wollen Sie damit sagen, Gott wäre dafür, dass alle heiraten dürfen?
Wie Luther so schön sagte: Die Ehe ist ein weltlich Ding. Aber ich glaube ganz klar, dass Gott will, dass jeder Mensch sich selber sein kann. Was für ein Gott wäre das, der mich als lesbische Frau schaffen würde und dann sagte: Du bist zwar jetzt so, musst dich aber nun ändern? Das wäre ja lebenszerstörend. Ich glaube aber an einen lebensbejahenden Gott.
Wie blicken Sie auf die Abstimmung am 26. September?
Ich hüte mich vor zu viel Optimismus. Es gibt noch viel Aufklärungsarbeit zu tun. Es wäre übel, wenn es nicht durchkommen würde. Das würde ein sehr schlimmes Zeichen in der Gesellschaft setzen. Ich hoffe fest, dass die Vorlage angenommen wird.
Sie sind seit neun Jahren mit Ihrer Frau zusammen und leben seit zwei Jahren in einer eingetragenen Partnerschaft. Werden Sie nach einem Ja zur Ehe für alle auch vor den Traualtar treten?
Ja, allerdings nicht zwingend auch kirchlich, denn den Segen von Gott haben wir bereits erhalten. Wir diskutieren auch darüber, Kinder zu haben, und deshalb stört mich auch die Debatte um das Kindeswohl. Ob ich eine gute Mutter bin oder ein Mann ein guter Vater ist, hat nichts damit zu tun, wen wir lieben – sondern nur damit, dass das Kind sich geliebt fühlt. Das belegen zahlreiche Studien. Und Gott liebt schliesslich auch vielfältig.
Priscilla Schwendimann ist heute auch live bei Blick TV zu sehen.
Aufgewachsen ist Priscilla Schwendimann in einer strenggläubigen Freikirche im Ausland, die Homosexualität ablehnt. Ihr Coming-out vor neun Jahren war deshalb besonders schwer. Gemeinsam mit ihrer Partnerin, einer Juristin, verliess sie als Zwanzigjährige die Gemeinde und studierte in Zürich Theologie. Bis vor kurzem war sie stellvertretende Pfarrerin in der reformierten Zürcher Stadtkirche St. Peter. Seit Anfang August leitet Schwendimann die erste reformierte LGBTQ-Pfarrstelle von Zürich und betreibt den Youtube-Kanal «Holy Shit». Schwendimann lebt mit ihrer Frau in eingetragener Partnerschaft in Zürich.
Aufgewachsen ist Priscilla Schwendimann in einer strenggläubigen Freikirche im Ausland, die Homosexualität ablehnt. Ihr Coming-out vor neun Jahren war deshalb besonders schwer. Gemeinsam mit ihrer Partnerin, einer Juristin, verliess sie als Zwanzigjährige die Gemeinde und studierte in Zürich Theologie. Bis vor kurzem war sie stellvertretende Pfarrerin in der reformierten Zürcher Stadtkirche St. Peter. Seit Anfang August leitet Schwendimann die erste reformierte LGBTQ-Pfarrstelle von Zürich und betreibt den Youtube-Kanal «Holy Shit». Schwendimann lebt mit ihrer Frau in eingetragener Partnerschaft in Zürich.
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