Sie bricht mit der stereotypen Vorstellung, wie ein reformierter Pfarrer, eine reformierte Pfarrerin sein soll. Dabei hatte die junge Theologin Priscilla Schwendimann (28) ursprünglich ganz andere Karrierepläne. «Ich träumte davon, eines Tages Missionarin zu werden», sagt sie zu Blick. «Doch dann spürte ich meinen Ruf. Und der war nicht zu überhören. Ich wusste: Als Pfarrerin kann ich noch mehr Menschen erreichen und genau das Vorbild für junge Menschen sein, das mir in meiner Jugend so sehr fehlte.» Heute leitet Schwendimann das Pfarramt in der evangelischen Zürcher Stadtkirche St. Peter.
Aufgewachsen in einer strenggläubigen Freikirche, die Homosexualität ablehnt, war das Coming-out für Priscilla Schwendimann vor neun Jahren besonders schwer. Die Erinnerungen daran schmerzen die junge Frau noch heute. «Ein Mensch hat mich damals so tief verletzt, dass mein Urvertrauen kaputtging», sagt sie und wischt sich eine Träne aus dem Gesicht. «Es gab Leute, die mir gesagt haben, Homosexuelle sollten gesteinigt werden. Gott war der/die Einzige, die damals zu mir hielt. Der Einzige, den ich noch hatte. Er hat mich niemals losgelassen.» Gott habe ihr die Kraft gegeben durchzuhalten, als sie sich in eine andere Frau verliebte. Schwendimann: «Gott kann Homosexualität gar nicht schlecht finden. Denn er hat uns so gemacht, wie wir sind und wie wir sein müssen.»
Vier Gottesleute erfinden die Kirche und Glauben neu – und sagen, was Pfingsten für sie bedeutet
- Pfarrerin Priscilla Schwendimann (28), fand erst durch ihr Outing zu ihrer Berufung
- Anja Niederhauser (41) wurde einst als jüngste Pfarrerin der Schweiz bekannt
- Pfarrer Andrea Marco Bianca (60) stemmt sich gegen Kirchenaustritte
- Anselm Burr (73) öffnete die Kirche für Tiere, Flüchtlinge und Yoga-Lektionen
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«Sexismus treibt mich in den Wahnsinn»
Aus der damals verbotenen Schwärmerei für ihre gleichaltrige Kollegin wurde Liebe. «Eine Liebe, die stärker war als alle Zweifel.» Gemeinsam mit ihrer Partnerin verliess die damals 19-Jährige ihre Gemeinde und wandte sich der evangelisch-reformierten Kirche zu. Heute leben die Theologin und die Juristin in einer eingetragenen Partnerschaft in Zürich. «Meine Frau ist in der Gemeinde ganz selbstverständlich akzeptiert.»
Ablehnung erlebt Schwendimann aufgrund ihrer Sexualität heute kaum, der Rückhalt in der Pfarrschaft sei gross. «Viel eher werde ich diskriminiert, weil ich eine junge Frau bin. Ich erlebe oft, dass ich in der patriarchalen Struktur der Kirche nicht ernst genommen werde oder dass ich mich öfter bedanken muss, als ein männlicher Kollege es tun müsste.» Ihre Leistungen würden aufgrund ihres Geschlechts oft unterschätzt. «Sexismus treibt mich in den Wahnsinn. Aber er treibt mich gleichzeitig noch mehr an, die festgefahrenen Strukturen aufzubrechen.»
Mittels Social Media junge Gläubige gewinnen
Die Kirche zu verändern, bedeutet für die junge Seelsorgerin vor allem auch, sie zu digitalisieren. Während des ersten Lockdowns veranstaltete sie einen grossen Online-Gottesdienst und rief via Facebook zum Besuch von Beerdigungen auf. «Wir können junge Menschen nur mit Authentizität für den Glauben gewinnen und indem wir sie dort abholen, wo sie sind: auf Social Media», erklärt Schwendimann, die vor kurzem mit einer Pfarrerkollegin den erfolgreichen Youtube-Kanal «Holy Shit» lancierte. «Die Gottesdienste laufen jeden Sonntag immer gleich ab, untermalt von Orgelmusik. Junge Menschen hören aber lieber Pop, also sollten wir den auch in der Kirche spielen. Das haben die Freikirchen bisher besser verstanden.»
Erste reformierte LGBTQ-Pfarrstelle in Zürich
Kein Zweifel: Die jüngste Pfarrerin Zürichs bewegt etwas – auch politisch. Im August tritt Schwendimann die allererste reformierte LGBTQ-Pfarrstelle in Zürich an: «Ich freue mich riesig. Ich kann mich dadurch den wichtigen Themen noch intensiver widmen als bisher.» Ganz oben auf der Traktandenliste der 28-Jährigen steht die «Ehe für alle»: «Meine Frau und ich sind seit neun Jahren zusammen, wir haben eine eingetragene Partnerschaft und zahlen mehr Steuern – das ist daneben. Alle Paare sollen die gleichen Rechte haben, egal ob heterosexuell oder homosexuell.»
Mit ihrer erfrischend direkten Art und ihrer modernen Haltung als Pfarrerin trifft Priscilla Schwendimann den Nerv ihrer Generation: «Ich kriege jede Woche sehr viele Nachrichten von jungen Gläubigen, die sich für unseren Youtube-Kanal bedanken. Sie sind froh, dass wir vermeintliche Tabuthemen wie Homosexualität oder mentale Gesundheit in einem christlichen Kontext frei ansprechen.» Diese positiven Reaktionen bestärken die Zürcherin in ihrem Auftrag als Seelsorgerin. «Es ist ein unglaublich schönes Gefühl zu wissen: Gott möchte mich in dieser Rolle als Pfarrerin haben.»
Was ist ihre Lieblingspassage in der Bibel? «Ich habe ganz viele, aktuell könnte es sein: Und Gott machte den Menschen (...) und siehe, es war sehr gut (Genesis 1.31).»
Und Pfingsten bedeutet für Sie, Grenzen zu überwinden: «Es bleibt kein Stein mehr auf dem anderen, so verschieden wir auch sind. So sehr werden wir durch den Heiligen Geist im Glauben vereint. Vergiss Trennung aufgrund von Sprache, Geschlecht, Herkunft etc. Holy Spirit verbindet – wie genial ist das denn!»