Die Arktis verändert sich rasant. Das Minimum, auf das die Meereisfläche im Sommer schrumpft, wird immer kleiner. Mit dem Klimawandel erwärmt sich die Arktis besonders schnell. Mit globalen Auswirkungen, insbesondere auf Wetterprozesse der nördlichen Hemisphäre. Langanhaltende Extremwetterlagen wie Trockenheit sind eine der Folgen.
Gleichzeitig bestehen gerade bei den Polarregionen noch grosse Wissenslücken, die zu Unsicherheiten in den Klimamodellen führen.
Grösste Forschungsexpedition aller Zeiten
Es ist die grösste Arktis-Expedition aller Zeiten: Ein Budget von über 140 Millionen Euro, rund 600 Fachleute und 300 Helferinnen und Helfer aus 19 Nationen, die auf dem Forschungsschiff oder im Hintergrund daran beteiligt sind. Rund ein Jahr lang soll die «Mosaic»-Expedition dauern, dabei wird das Schiff zwei bis drei Monate lang auf einer Distanz von nur rund 200 Kilometer am geografischen Nordpol vorbei driften. («Mosaic» steht für «Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate»)
Damit dringt die Expedition unter Leitung des Bremerhavener Alfred Wegener Instituts (AWI) in ein Gebiet vor, in das von Februar bis Juni nicht einmal Eisbrecher ihren Weg bahnen können, weil das Eis zu dick ist. Die «Polarstern» soll einen Grossteil der Expedition ohne eigenen Antrieb mit dem Meereis driften, im Mittel sieben Kilometer pro Tag. Inspiriert ist die Expedition von der Reise des Norwegers Fridtjof Nansen mit dem Segelschiff «Fram» vor 126 Jahren. Die Natur bestimmt den Kurs.
«Polarstern» lässt sich im Eis einfrieren
Nachdem die «Polarstern» am Freitagabend vom norwegischen Tromsø aufbricht, geht die Reise zunächst dorthin, wo das arktische Meereis entsteht - vor die sibirische Küste. Dort soll sich das Schiff von Eis umschliessen lassen. «Die Idee hinter 'Mosaic' ist, still im Eis zu sitzen und zu beobachten», fasst Julia Schmale vom Paul Scherrer Institut die Expedition zusammen.
An eine mindestens 1,5 Meter dicke und weitläufige Eisscholle angedockt wird die «Polarstern» mit dem sogenannten Transpolardrift reisen - auch durch die 150 Tage dauernde Polarnacht bei Temperaturen bis zu minus 45 Grad Celsius.
Auf dem umgebenden Packeis sollen ein Basiscamp, ein Netz von Messstationen und eine Landebahn für Versorgungsflugzeuge entstehen. Während der Arbeit auf dem Eis werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von mehreren «Eisbär-Wächtern» beschützt.
Sechs «Etappen» sind geplant, von Etappe zu Etappe wechseln sich die Forschenden ab. Mit sehr starken Eisbrechern wird die neue Besatzung zur driftenden Polarstern gebracht und die vorherige abgeholt.
Auch Schweizer Forscher an der Mission mit dabei
Während mehrerer Phasen der Expedition werden insgesamt 300 Forschende an Bord und auf der Eisscholle arbeiten, um Daten zu sammeln. Darunter auch Forschende des Paul Scherrer Instituts (PSI) und der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). Ebenfalls beteiligt sind das Swiss Polar Institut (SPI) und die Schweizerische Kommission für Polar- und Höhenforschung (SKPH).
Ein Team um Mike Schwank von der WSL hat beispielsweise ein Messgerät entwickelt, das die Mikrowellen erfasst, die Meereis ausstrahlt. Sein Mitarbeiter Reza Naderpour soll die Apparatur rund um die «Polarstern» einsetzen und die Ergebnisse mit Satelliten-Messungen vergleichen.
Was soll die «Polarstern» erforschen?
Ziel der Expeditionsbeteiligten ist, das arktische Klimasystem besser zu verstehen und damit Klimamodelle zu verbessern. So steht «Mosaic» für «Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate». Klimaprojektionen für die Arktis sind aufgrund von Wissenslücken mit besonders grossen Unsicherheiten verbunden, die die Mosaic-Expedition zu verkleinern versucht. Dies ermöglicht genauere Vorhersagen über die Klimaerwärmung und ihre Folgen.
Die Arktis erwärmt sich im Zuge des Klimawandels besonders stark - mit globalen Auswirkungen. Spürbar wird diese Erwärmung der fernen Polarregion beispielsweise durch Stockungen des Jetstream, einer wellenförmigen Luftströmung, die die Nordhalbkugel umspannt und die Wetterlage beeinflusst. Mit abnehmender Temperaturdifferenz zwischen der Arktis und den Tropen verharrt der Jetstream immer häufiger in grossen Schleifen. Wetterlagen wie Trockenheit, Regen oder Kältewellen bleiben deshalb länger bestehen.
Die Mosaic-Forschenden wollen die Wechselwirkungen zwischen Atmosphäre, Ozean, Meereis, Biogeochemie und Ökosystem im Verlauf eines vollen Jahreszyklus' untersuchen.
Ökologische Wechselwirkungen besser verstehen
Forschende um Martin Schneebeli vom des WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) und Mike Schwank vom WSL fokussieren auf die Wechselwirkung zwischen Atmosphäre und Ozean und die Rolle, die Meereis und Schnee dabei spielen. Unter anderem unterstützt das Swiss Polar Institute (SPI) die Forschungsprojekte aus der Schweiz. Schnee wirkt sich auf die Wärmeübertragung zwischen Atmosphäre und Meereis aus und damit auf die Meereisbedeckung der Arktis. Die Messdaten kommen insbesondere auch Modellen zur Wettervorhersage zugute, erklärte Wagner gegenüber der Keystone-SDA
Wolkenbildung in der Arktis erforschen
Wie schon bei der Antarktis-Expedition unter Leitung des Schweizer Polar Instituts ist Julia Schmale vom PSI mit einem Team und einem Forschungscontainer voller Messinstrumente dabei, um Atmosphärenprozesse zu erforschen.
Im Fokus stehen dabei sogenannte Aerosole, kleine Schwebepartikel, die für die Wolkenbildung eine wichtige Rolle spielen. Für die zentrale Arktis gibt es bisher wenige Messungen dazu. Das soll sich ändern: Der mit Messgeräten bestückte Container von Schmales Team steht ganz vorne auf dem Forschungsschiff. «Wolkenbildung spielt für die Energiebilanz eine wichtige Rolle - in klaren Nächten wird es sehr kalt, in bewölkten bleibt es wärmer», erklärte Schmale im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Damit sind Wolken zentral für die weitere Entwicklung des Meereises in der Arktis und das Klimasystem.
Aerosole bilden Kondensationskeime für die Wolkenbildung. «Es gibt Partikel aus menschlichen Aktivitäten und solche natürlichen Ursprungs. Wir wollen wissen, wie sich die Zusammensetzung im Jahresverlauf entwickelt, und wie sich diese Prozesse mit dem Klimawandel verändern», so die Forscherin.
(SDA)