ETH-Professorin zu den Spekulationen um das Dubai-Unwetter
«Die Wolkenimpfung ist meistens nutzlos»

Die Vereinigten Arabischen Emiraten versuchen seit fast 30 Jahren, das Wetter zu beeinflussen. Mit dem extremen Wetter in Dubai hat das jedoch nichts zu tun, sagt Expertin Ulrike Lohmann. Auch in der Schweiz wurden bereits Wolken geimpft – mit mässigem Erfolg.
Publiziert: 21.04.2024 um 13:57 Uhr
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Aktualisiert: 30.04.2024 um 16:02 Uhr
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Dubai steht unter Wasser: Am Dienstag wurde die arabische Küstenstadt von einem Unwetter heimgesucht. Es fiel mehr Regen als sonst im gesamten Jahr.
Foto: keystone-sda.ch
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Joschka SchaffnerRedaktor Politik

Am Dienstag geriet die arabische Wüstenstadt Dubai in den Ausnahmezustand. Innert 24 Stunden prasselte mehr Regen nieder als sonst im ganzen Jahr. 254 Millimeter Niederschlag sorgten für überschwemmte Strassen, annullierte Flüge und gestrandete Touristen.

Schnell machten Gerüchte die Runde: Das historische Unwetter soll unter anderem durch sogenanntes Cloud Seeding verursacht worden sein. Die nationale Wetterbehörde dementierte dies anschliessend. Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) impfen bereits seit den 1990er-Jahren Wolken mithilfe von Flugzeugen und Sprühkanonen, um Regen zu erzeugen.

Frau Lohmann, manipulieren die Vereinigten Arabischen Emirate mittels Cloud Seeding das Wetter, oder ist das bloss eine Verschwörungstheorie?
Ulrike Lohmann: Eine solche Wolkenimpfung, wie es die VAE tun, ist durchaus möglich – in der Theorie zumindest.

Das heisst?
In der Realität funktioniert sie nur in seltenen Fällen. 90 Prozent aller Wolken regnen gar nicht aus, sondern verschwinden wieder ohne Niederschlag. Selbst wenn ich diese Wolken impfe, würden die Regentropfen bereits auf dem Weg zum Boden wieder verdunsten. Also geht es da nicht. Das Cloud Seeding ist also nur dann sinnvoll, wenn es eine Wolke knapp nicht schafft, von selbst Niederschlag zu bilden.

Dennoch hiess es beim Unwetter in Dubai zuerst, dass kurz zuvor Wolken geimpft worden wären. Hätte es überhaupt eine Rolle gespielt?
Aus meiner Sicht nicht. Wenn bereits eine starke Unwetterlage da ist, spielt es keine Rolle mehr, ob ich zusätzlich impfe. Entscheidend ist in erster Linie, wie mächtig die Wolke ist. Also, wie weit sie sich in die Höhe ausdehnt. Denn je höher die Wassertröpfchen steigen, desto grösser werden sie. Und dann regnet es sowieso.

Trotzdem: Die VAE führen pro Jahr 300 Flüge durch, um Wolken zu impfen.
Das bedeutet nicht, dass es wirkt. Die Arabische Halbinsel ist ein Trockengebiet, die Luftfeuchtigkeit ist tief. Und je trockener es in der Erdbodennähe ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass der Niederschlag überhaupt bis zum Boden kommt.

Die Technologie ist also nutzlos?
Bis auf ganz wenige Fälle schon. Zudem steht das wenige, was wirklich aus den Wolken herausgeholt werden kann, aus meiner Sicht in keinem Verhältnis zum grossen Aufwand. Es braucht viel Energie, teure Fluggeräte und dann auch noch das richtige Impfmaterial.

Cloud-Seeding ist keine neue Technologie

Bereits kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann die USA mit der Wolkenimpfung. Meist werden die Wolken mittels an Flugzeugen angebrachten Kanonen beschossen. Als «Munition» wird die chemische Verbindung Silberjodid verwendet. Sie soll sogenannt unterkühlte Wolkentröpfchen zum Vereisen bringen. Tröpfchen, die sich unter null Grad befinden, jedoch noch nicht gefroren sind. Die Eiskristalle, die entstehen, werden deutlich grösser als die Wolkentröpfchen und fallen schliesslich zu Boden – je nach Wetter- und Höhenlage als Regen, Schnee oder Hagel. In Fachkreisen gilt der Effekt der Wolkenimpfung jedoch als vernachlässigbar.

Die Vereinigten Arabischen Emirate verwenden für ihr Cloud-Seeding-Programm Salzlösung. Diese eignet sich in besonders warmen Gebieten, wo sich die Wolkentröpfchen über null Grad befinden. Die nationale Wetterbehörde spricht von bis zu 30 Prozent mehr Regen aufgrund der Wolkenimpfung.

Bereits kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann die USA mit der Wolkenimpfung. Meist werden die Wolken mittels an Flugzeugen angebrachten Kanonen beschossen. Als «Munition» wird die chemische Verbindung Silberjodid verwendet. Sie soll sogenannt unterkühlte Wolkentröpfchen zum Vereisen bringen. Tröpfchen, die sich unter null Grad befinden, jedoch noch nicht gefroren sind. Die Eiskristalle, die entstehen, werden deutlich grösser als die Wolkentröpfchen und fallen schliesslich zu Boden – je nach Wetter- und Höhenlage als Regen, Schnee oder Hagel. In Fachkreisen gilt der Effekt der Wolkenimpfung jedoch als vernachlässigbar.

Die Vereinigten Arabischen Emirate verwenden für ihr Cloud-Seeding-Programm Salzlösung. Diese eignet sich in besonders warmen Gebieten, wo sich die Wolkentröpfchen über null Grad befinden. Die nationale Wetterbehörde spricht von bis zu 30 Prozent mehr Regen aufgrund der Wolkenimpfung.

Die Behörden des arabischen Wüstenstaats verwenden für ihr Cloud Seeding eine Salzlösung. Spielt es eine Rolle, was in die Wolken gesprüht wird?
Wenn im Sommer eine Wolke nicht regnet, liegt das daran, dass die Wolkentröpfchen zu klein sind. Der erprobte Weg ist, die Tröpfchen mittels Silberjodid zu vereisen, sodass sie wachsen. Das geht aber nur, wenn die Wolke so hoch wächst, dass sie im oberen Teil Temperaturen unter 0 Grad erreicht. Der andere ist, dass man durch Salzlösung ein paar grössere Wolkentröpfchen bewirkt, die dann fallen und mit kleineren zusammenstossen. Ich denke aber nicht, dass das effizienter ist.

Wieso wird in Europa kaum darüber gesprochen?
Die Wolkenimpfung ist auch hier sehr wohl ein Thema. Die Schweiz führte bereits in den 70er- und 80er-Jahren mit Silberjodid zahlreiche Grossversuche durch.

Die Schweiz wollte das Wetter manipulieren?
Da ging es um Hagelabwehr. Man hat versucht, in Gewitterwolken mehr Eiskeime einzutragen, damit sich mehr Eiskristalle bilden. So werden die Hagelkörner weniger gross und führen zu weniger Hagelschäden. Die Versuche wurden damals einwandfrei durchgeführt – und konnten keinen Nutzen nachweisen. Trotzdem wird Silberjodid in vielen europäischen Ländern weiterhin zur Hagelabwehr eingesetzt. Ein Vergleich zwischen geimpften und ungeimpften Wolken wird da aber selten durchgeführt. Und dann ist es schwierig, zu sagen, ob das überhaupt etwas nützt.

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«Nachbarländern das Wasser abzugreifen, wäre sehr heikel.»
Ulrike Lohmann
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Der Klimawandel wird auch in der Schweiz zu mehr Trockenheit führen. Wäre das Cloud Seeding nicht eine Lösung, um diese zu bekämpfen?
Nein.

Warum nicht?
Trockenheit ist normalerweise an grosse Hitzeperioden gekoppelt. Und in Hitzeperioden bilden sich kaum Wolken.

Gibt es Nachteile, Silberjodid oder Salz in die Atmosphäre zu sprühen?
Zum einen ist Silberjodid in grosser Konzentration giftig. Ein Einsatz über mehrere Jahre wäre also sicher nicht gut. Zudem auch eine politische Frage. Entstand dieses oder jenes Unwetter, weil ich geimpft habe? Oder kommt der Hagel stattdessen beim nächsten Bauern runter, wenn ich das mache, um meine Kirschen zu schützen? Wenn ja, kann der mich dann verklagen? Genauso kann es auch zwischen zwei Ländern sein.

Mit dem Cloud Seeding kann also Nachbarländern das Wasser abgegriffen werden?
Theoretisch schon, und das wäre sehr heikel. Ich habe das auch bereits in der arabischen Welt als Vorwurf gehört. Ein Land, das nah am Ozean ist, hat da beispielsweise einen Vorteil. Und wenn dieses dafür sorgt, dass die Wolken früher abregnen, gehen die nachfolgenden Länder leer aus.

Kann sich das Wetter längerfristig ändern, wenn über 30 Jahre lang Cloud Seeding betrieben wird?
Nein, das Cloud Seeding wirkt nur sehr lokal.

Die Wolkenexpertin

Ulrike Lohmann (57) ist seit 20 Jahren Professorin für Atmosphärenphysik am Institut für Atmosphäre und Klima der ETH Zürich. In ihrer Arbeit befasst sie sich mit der Wolkenbildung, auch im Zusammenhang mit Schwebeteilchen und der Klimaerwärmung.

Atmosphärenphysikerin Ulrike Lohmann.
ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv

Ulrike Lohmann (57) ist seit 20 Jahren Professorin für Atmosphärenphysik am Institut für Atmosphäre und Klima der ETH Zürich. In ihrer Arbeit befasst sie sich mit der Wolkenbildung, auch im Zusammenhang mit Schwebeteilchen und der Klimaerwärmung.

Was war dann die Ursache für das Extremereignis in Dubai?
Wir hatten in diesem Winter nie eine stabile Hoch- und Tiefdruckverteilung. Das führt dazu, dass der Jetstream, der Luftstrom in der Troposphäre, stärker schlingert als normal. Man kann sich nun vorstellen, dass der Jetstream eine Welle ist, die immer wieder bricht. Dadurch können sich sogenannte Kaltlufttropfen lösen, die dann ein Eigenleben entwickeln und weiterziehen. So etwas könnte es in Dubai gewesen sein.

Inwiefern spielt die Klimaerwärmung eine Rolle?
Durch die Klimaerwärmung enthält die Atmosphäre mehr Wasserdampf. Man nennt dies auch latente Wärme. Werden daraus Wassertröpfchen, wird viel Energie frei. Das führt zu mächtigeren Gewittertürmen. Und der Dampf, der kondensiert, fällt dann auch als Regen herunter. Deswegen werden solche Unwetter mit dem Klimawandel zwar nicht häufiger, aber intensiver.

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