Herr Niggli, sie tragen einen gut sitzenden, modernen Anzug und eine Apple Watch. Man könnte sich den Direktor des Forschungsinstituts für Biologischen Landbau auch mit Pferdeschwanz und Wollpullover vorstellen.
Ich habe meine Garderobe etwa vor 20 Jahren geändert, als ich viel an Veranstaltungen zum Thema «Gentech – ja oder nein» war. Damals waren es die Gentech-Befürworter, die in Jeans und mit langen Bärten erschienen. Da dachte ich: Von denen will ich mich unterscheiden. Seither komme ich in Schale daher.
Was ist Bio für Sie?
Niggli: Der biologische Landbau ist das einzige Anbausystem, das weltweit gesetzlich gleich streng geregelt ist. In China versteht man unter Bio dasselbe wie in der Schweiz. Das ermöglicht einen internationalen Austausch von Produkten – die Bio-Märkte sind die internationalsten, die es gibt. Vom Wesen her ist Bio aber viel mehr als ein Gesetz. Es ist ein System, das in Kreisläufen funktioniert. Das ist etwas, das die konventionelle Landwirtschaft vernachlässigt. Darum ist heute die Überdüngung der Böden ein so grosses Problem. Zu Bio gehört aber auch eine artgerechte Tierhaltung. Und Bio folgt dem Prinzip der Vielfalt. So ist die Fruchtfolge abwechslungsreich – oft bauen Biobauern auf demselben Boden sieben verschiedene Sorten pro Jahr an. Auch Ausgleichselemente wie Hecken oder Blumenstreifen sind vielfältig. Und die Vielfalt reicht bis in den Acker hinein, wo der Bio-Bauer keine wirksame Unkrautbekämpfung macht. Auf dem Unkraut leben Insekten, diese werden von Vögeln gefressen, und so schliesst sich auch dort ein Kreislauf. Und dann verzichtet Bio auf unnatürliche Stoffe, die der Mensch hergestellt hat – zum Beispiel Kunstdünger und chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel.
Warum?
Niggli: Ursprünglich war das eigentlich ein blosses Bauchgefühl der Biobauern. Sie gingen davon aus, dass man mehr Probleme schafft als löst, wenn man künstliche chemische Stoffe auf die Felder ausbringt. Unsere wissenschaftlichen Untersuchungen haben dieses Gefühl in der Zwischenzeit vielfach bestätigt.
Die Biobauern brauchen keinen Kunstdünger, keine Pestizide, lassen das Unkraut stehen – und doch verkaufen sie die Produkte teurer. Weshalb?
Weil sie weniger Erträge haben. Zudem sind gewisse im Biolandbau zugelassene Hilfsstoffe teurer als chemische Präparate, etwa Nützlinge oder Pflanzenextrakte, die die Biobauern gegen Krankheiten spritzen. Und schliesslich hat der Bauer viel mehr Arbeit. Wenn man eine Hektare Land mit einem Herbizid spritzt, ist das in dreissig Minuten getan. Der Biobauer hingegen wendet im Schnitt etwa 50 Stunden für die Unkrautbekämpfung auf derselben Fläche auf.
Lässt sich überhaupt kontrollieren, vor allem international, ob sich die Bauern an die Bio-Regeln halten?
Niggli: Weltweit führen zahlreiche Unternehmen Kontrollen durch und jeder Warenposten hat ein Zertifikat. So sind Bioprodukte heute die mit Abstand am besten kontrollierten Lebensmittel auf dem Markt. Natürlich ist das noch keine Garantie dafür, dass es niemals Betrug gibt. Denn der Biomarkt ist mit seinen hohen Preisen ein sehr wertvoller Markt. Das zieht mafiöse Kreise an, die Gewinn durch Etikettenschwindel machen wollen. Deshalb hat der Schutz des Konsumenten bei Bioprodukten eine so hohe Priorität. Die Schattenseite davon ist leider, dass ehrliche Bauern, die Bio aus Überzeugung leben, unter den immer strengeren Kontrollen leiden. Insgesamt hält sich der Betrug aber in einem kleinen Bereich
Essen sie selbst immer Bio-Produkte?
Niggli: Zu Hause essen wir 100 Prozent Bio, und auch während der Arbeit im FiBL-Restaurant. Aber leider wurde ich durch meinen Beruf zum Jetsetter. Auf Reisen ist es schwierig, Restaurants mit Bio-Produkten zu finden.
Nachdem Bundesrätin Doris Leuthard im Dezember 2017 verkündete, den Grenzwertwert von Glyphosat im Wasser um das 3600-fache erhöhen zu wollen, kochten die Gemüter. Am Unkrautvernichter scheiden sich die Geister. Doch wie sähe eine Landwirtschaft ohne Glyphosat aus?
Nachdem Bundesrätin Doris Leuthard im Dezember 2017 verkündete, den Grenzwertwert von Glyphosat im Wasser um das 3600-fache erhöhen zu wollen, kochten die Gemüter. Am Unkrautvernichter scheiden sich die Geister. Doch wie sähe eine Landwirtschaft ohne Glyphosat aus?
S ehen Sie einen Einsatz für Gentechnik in der Bio-Landwirtschaft?
Niggli: Nein. Der ganzheitliche Ansatz im Bio-Landbau bedeutet auch, dass man das Erbgut eines Lebewesens so belassen soll, wie es ist. In das Image der Naturbelassenheit, das Bio hat, passt Gentechnik nicht.
Das ist keine sehr wissenschaftliche Sicht.
Niggli: Das mag sein, aber die Konsumenten kaufen mit den Produkten immer auch ein Image. Wenn Sie einen Rolls Royce kaufen, erwarten Sie auch, dass dieser ein Armaturenbrett aus einem Edelholz hat, sogar wenn ein neues Nanotech-Material wohl viel besser und erst noch ökologischer wäre.
Halten Sie gentechnisch veränderte Pflanzen denn für gefährlich?
Niggli: Das sind sie wohl nicht. Doch das ist die falsche Frage. Die Gentechnologie ermöglicht eine Landwirtschaft, die nicht nachhaltig ist. Wenn ich an die Gebiete in Mato Grosso in Brasilien denke, wo auf komplett unfruchtbaren Savannen-Böden heute Soja angebaut wird. Das ist nur mit Gentech-Pflanzen möglich, aber überhaupt nicht nachhaltig.
So naturbelassen ist das Erbgut von Bio-Pflanzen aber auch nicht. Bei der Züchtung von Pflanzen verändert es sich teilweise stark.
Niggli: Das stimmt. Die Arten und Sorten, die IP- und Biobauern heute anbauen, haben mit ihren natürlichen Verwandten etwa so viel zu tun wie eine Apple Watch mit einer Sonnenuhr. Aber Naturbelassenheit ist sowieso ein sozialromantischer Begriff. Ohne Technik und Technologie würden wir hier heute in einem Buchenwald von Pilzen und Buchennüssen leben, aber nicht von Weizen, Mais oder Kartoffeln.
Seit wenigen Jahren gibt es die neue molekularbiologische Methode CRISPR/Cas, mit der ganz präzise – ohne das Einschleusen artfremder Gene – Eingriffe ins Erbgut von Pflanzen oder Tieren gemacht werden können.
Sehen Sie dafür eine Einsatzmöglichkeit in der biologischen Landwirtschaft?
Niggli: Das habe nicht ich zu entscheiden, sondern die Biobauern.
Aber ich frage Sie.
Niggli: Das Auslösen von Mutationen im Erbgut ist in der Natur nichts Besonderes. Es passiert dauernd, auch ohne Züchtung, jedes Jahr zehntausendfach in jedem Organismus. Vor langer Zeit hat der Mensch entdeckt, dass er diese natürlichen Mutationen ausnutzen kann, indem er nur diejenigen Pflanzen oder Tiere weitervermehrt, die die besten Eigenschaften haben. Im letzten Jahrhundert hat er dann entdeckt, dass man durch gezielte Kreuzung schneller zu neuen Pflanzen kommt. Dann hat der Mensch begonnen, den natürlichen Mutationsprozess stark zu beschleunigen, indem er die Pflanzen mit Chemie und radioaktiver Strahlung behandelte und so die Mutationsraten erhöhte. Durch Bestrahlung, die man bis 1990 anwandte, entstanden weltweit etwa 8000 neue Sorten.
Auch Biosorten.
Niggli: Ja, viele dieser Sorten waren so gut, dass auch Biobauern damit weiterzüchteten. Und mit CRISPR/Cas sind wir nun noch einen Schritt weiter. Die Methode muss keine artfremden Gene einbringen, sondern verändert einzelne Stellen im pflanzeneigenen Genom. Genauso wie das natürliche Mutationen tun – einfach viel präziser. Als Naturwissenschaftler sage ich deshalb: Ja, CRISPR/Cas ist bisher die beste Methode, wie man Mutationen auslösen kann.
Der Europäische Gerichtshof hat vor wenigen Wochen geurteilt, dass CRISPR/Cas eine gentechnische Methode ist. Die USA sieht es genau anders herum.
Was ist ihre Haltung dazu?
Niggli: Der Europäische Gerichtshof hat gleichzeitig falsch und richtig entschieden.
Das müssen Sie erklären.
Niggli: Er hat wissenschaftlich falsch entschieden, denn CRISPR/Cas könnte besser als die chemische und radioaktive Mutation unter die Ausnahmen bei der Freisetzungsverordnung eingereiht werden. Aber er hat eine ganz wichtige Debatte, die in der Bevölkerung läuft, ernst genommen. Die Bedenken vieler Menschen, wenn Wissenschaftler am Genom von Lebewesen herumzubasteln beginnen, sind real. Tatsächlich könnte einmal etwas passieren, das man jetzt nicht voraussieht. So gesehen ist die Entscheidung des Gerichtshofs schon nachvollziehbar.
Wie soll es weitergehen nach diesem Entscheid?
Niggli: Es braucht eine ganz neue Diskussion. Dabei sollte es jedoch nicht darum gehen, welche Methoden gut oder schlecht sind, sondern welche Art der Landwirtschaft wir wollen. Eine systemorientierte, vielfältige Landwirtschaft ist zwar teurer, aber sie ist die einzige, die Zukunft hat. Dafür brauchen wir gute Sorten. Das braucht Anstrengungen in der biologischen Züchtung, die ihre eigenen Regeln hat und in der modernen Züchtung, die in Zukunft mit Crispr/Cas arbeiten wird. Ich bin gespannt, welche die besser geeigneten Sorten liefert.
Vor welchen weiteren Herausforderungen steht die Landwirtschaft?
Niggli: Die Digitalisierung wird eine riesige Herausforderung für die Bauern. Sie wird die Landwirtschaft radikal verändern. Aber im Moment wird das in der Gesellschaft nicht diskutiert, und deshalb sind wir nicht darauf vorbereitet. Das ist gefährlich.
Warum?
Niggli: Die Produktion von Lebensmitteln kann dank intelligenten Maschinen weitgehend automatisiert werden, so dass es fast keine Menschen mehr für diese Arbeit braucht. Zudem wird das bäuerliche Wissen zunehmend durch Datenbanken und Algorithmen ersetzt, welche die Industrie entwickelt. Das ist ein Problem aller Landwirte, nicht nur der Biobauern. Nun stehen wir an einem Scheidepunkt: Es droht die Gefahr, dass die grossen internationalen Agrarunternehmen die Digitalisierung für sich nutzen. Die Felder werden grösser, die Tierhaltungen auch. Die klassische Bauernfamilie stirbt aus. Doch eigentlich könnte man die Digitalisierung genau andersrum nutzen. Kleinere, autonome Maschinen könnten auch auf kleinen Betrieben sehr gut funktionieren. Das wäre eine absolut einmalige Chance, die wir jetzt ergreifen könnten. Roboter könnten weltweit helfen, wieder zu einer vielfältigeren und deshalb nachhaltigen Landwirtschaft und zu einer strukturreichen Landschaft zurückzukehren. Deshalb arbeite ich am FiBL mit grossem Einsatz und grosser Motivation an diesem Thema.
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