Eigentlich, sagt Michelle * (28), habe sie sich immer Kinder gewünscht. Aber dann wurde die ehemalige Lehrerin aus dem Kanton Thurgau im Klimastreik aktiv. Und traf eine radikale Entscheidung: keine zu kriegen.
Heute, knapp drei Jahre später, wüten in weiten Teilen Südeuropas verheerende Brände, Hitze und Trockenheit machen auch der Schweiz zu schaffen. In Entwicklungsländern müssen wegen klimatischer Veränderungen und Naturkatastrophen immer mehr Menschen ihre Heimat verlassen.
Wetterextreme werden immer häufiger
Auch die Prognosen sind düster: Wetterextreme und ihre Folgen werden mit jedem Zehntel Grad Erderwärmung häufiger und heftiger, darüber ist sich die Forschung einig.
Das macht vor allem der jungen Generation Angst. Eine internationale Studie aus dem Jahr 2021 zeigt: Mehr als die Hälfte der 16- bis 25-Jährigen sind sehr besorgt über den Klimawandel, 65 Prozent fühlen sich im Kampf gegen ihn von den Regierungen im Stich gelassen. Manche so sehr, dass sie sich gezwungen fühlen, folgenschwere Entscheidungen für ihr eigenes Leben zu treffen.
Schwerer Entscheid
Wie Michelle: Nachdem sich die junge Frau in die Berichte des Weltklimarats eingelesen hatte, verabschiedete sie sich von ihrem Kinderwunsch. «Wenn schon ich durch diese Prognosen solche Zukunftsängste habe, muss ich mich doch fragen: Wie kann ich es verantworten, Kinder in die Welt zu setzen, die diese ganze Last dann tragen müssen?»
Die Entscheidung sei ihr nicht leicht gefallen. «Sie war sehr einschneidend und emotional, nicht nur für mich, sondern auch für meine Familie, allen voran meinen Vater.» Dem habe vor allem die Hilflosigkeit Mühe gemacht. «Wären finanzielle Schwierigkeiten der Grund für meinen Entscheid, keine Kinder zu kriegen, könnte er mir ja unter die Arme greifen und das Problem aus der Welt schaffen. Aber gegen die Klimakrise kann er allein nichts ausrichten. Das hat ihn sehr traurig gemacht.»
Reichen die Bestrebungen der Politik?
Auch ihr tue es weh, dass sie zu diesem Entschluss gekommen sei, sagt Michelle. Schliesslich sei es etwas sehr Schönes und Spannendes, Kinder beim Aufwachsen zu begleiten. «Das würde ich eigentlich gerne erleben. Aber ich glaube einfach nicht, dass wir so individualistisch denken können, wenn wir doch so viele Probleme zu lösen haben.»
Ganz unbegründet sind Michelles Sorgen indes nicht. Die aktuellen Bestrebungen der Regierungen reichen nicht aus, um die Klimaerwärmung auf unter 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen.
Studie prognostiziert doppelt so viele Waldbrände
Und das hat Folgen: Nicht nur, dass laut der Weltwetterorganisation Hitzewellen wie jene, die wir gerade erleben, in Europa künftig zur Norm gehören werden. Die Studie eines Teams aus internationalen Klimaforschenden von 2021 zeigte zudem, wie viel stärker als beispielsweise die Generation der Babyboomer die jüngste Generation von Wetterextremen betroffen sein wird.
Demnach wird ein Kind, das im Jahr 2020 geboren wurde, in seinem Leben im Schnitt doppelt so viele Waldbrände, bis zu dreimal so viele Dürren, Überschwemmungen und Ernteausfälle sowie siebenmal mehr Hitzewellen erleben als seine Grosseltern.
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Der belgische Klimaforscher Wim Thiery gehört zu den Autoren der Studie. Zwar hätten die Resultate ihn im Rahmen seiner Tätigkeit als Klimaforscher nicht überrascht, sagt er: «Wir wissen, dass die Wetterbedingungen bei steigender Erderwärmung extremer werden.» Als Mensch und Vater von drei kleinen Söhnen würden sich diese Daten aber «wie ein Schlag in die Magengrube» anfühlen, sagt Thiery.
Hoffnung bleibt
Die Studie sei denn auch ein dringlicher Aufruf zum Handeln. Noch gibt es aus Sicht des Wissenschaftlers nämlich Hoffnung: «Schaffen wir es, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, können wir die schlimmsten Szenarien verhindern.»
Werde dieses Klimaziel erreicht, könnte beispielsweise die Häufung von Hitzewellen um 40 Prozent verringert werden. «Dazu müssen wir aber so rasch wie möglich aus der Nutzung fossiler Brennstoffe aussteigen», so Thiery. «Die Lösungen sind da, was fehlt, ist eine ambitionierte Klimapolitik.»
Auch Michelle wünscht sich «eine Politik, die unsere Lebensgrundlagen erhält». Viel Zuversicht hat sie allerdings nicht. Die Entscheidungsträger würden die Gefahr der Klimakrise zwar erkennen. «Aber sie sehen im notwendigen Wandel ihren Profit gefährdet und stellen diesen bewusst über unsere Leben.»
Man muss «radikal handeln»
Diese Sichtweise und ihr Entscheid, auf Kinder zu verzichten, um sie nicht den Folgen der Erderwärmung aussetzen zu müssen, zeugen von Hoffnungslosigkeit – das gibt Michelle selbst zu.
«Aber ich bin überzeugt, dass es für einen gesellschaftlichen Wandel Menschen braucht, die radikal handeln.»
* Name der Redaktion bekannt