Haben wir nichts aus der Pandemie gelernt?
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Klimawandel und Corona-Krise:Haben wir nichts aus der Pandemie gelernt?

Professor kritisiert Nichtstun am Gipfel in Glasgow
«Fürs Klima gibt es keine Impfung»

Beide Krisen fordern globales Handeln nach Massgabe der Wissenschaft. Doch die Politik scheint aus der Pandemie nichts für die Klimakatastrophe gelernt zu haben.
Publiziert: 07.11.2021 um 12:00 Uhr
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Aktualisiert: 08.11.2021 um 09:39 Uhr
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Die Klimaaktivistin warf den Regierenden bei einer Demonstration in Glasgow vor, den Status quo trotz Ausbeutung von Mensch und Natur erhalten und davon weiter profitieren zu wollen.
Foto: AFP
Dana Liechti

Eigentlich hätten wir es besser wissen müssen: Schon lange vor dem Auftreten des Coronavirus warnte die Wissenschaft vor möglichen Pandemien. Ihre Rufe verhallten – und die meisten Länder waren schlecht oder gar nicht auf eine Krise von diesem Ausmass vorbereitet.

Ähnlich verhält es sich mit der Klimakrise, deren Dringlichkeit im Zuge des Weltklimagipfels in Glasgow in Erinnerung gerufen wird. Manche sehen Corona denn auch als eine Art Weckruf an Politik und Gesellschaft, sich endlich ums Klima zu kümmern und nicht sehenden Auges ins Verderben zu rennen.

«Die fehlende internationale Zusammenarbeit, wie wir sie bei der Corona-Pandemie erlebt haben, darf es bei der Klimakrise nicht geben», sagt Bernd Nilles. Der Geschäftsleiter von Fastenopfer und Präsident von Alliance Sud, der entwicklungspolitischen Arbeitsgemeinschaft von Schweizer Hilfswerken wie Swissaid und Caritas, beschäftigt sich intensiv mit der Klimathematik und ist aktuell selbst in Glasgow an der sogenannten COP26.

Ähnlich wie bei den bisherigen wird aber auch am aktuellen Klimagipfel vor allem viel geredet – und wenig getan. So haben die Regierungschefs und -chefinnen dort unter anderem versprochen, den Kohleausstieg zu schaffen, den Methanausstoss zu senken und die Wälder zu schützen. Die meisten Vereinbarungen beruhen aber auf Freiwilligkeit – was schon in der Vergangenheit dazu geführt hat, dass die Emissionen trotz anderslautender Versprechen ungebremst weiterstiegen.

Zu viel auf Eigenverantwortung gesetzt

Deshalb wird es immer schwieriger, das 2015 in Paris gesetzte 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen. Dabei habe Corona gezeigt, wie wichtig es wäre, vorausschauend zu entscheiden und zu handeln, sagt Wirtschaftsprofessor Marius Brülhart von der Universität Lausanne. Besonders hierzulande: «Hätte man letzten Herbst während der zweiten Welle nicht so lange gezögert, strengere Massnahmen einzuführen, hätte man viel Leid verhindern können. Es wurde zu lange auf reine Eigenverantwortung gesetzt und dogmatisch gegen weitere staatliche Entschädigungen opponiert.»

Offenbar, so Brülhart weiter, brauche es immer einen gewissen Leidensdruck, bis Massnahmen politisch durchsetzbar seien. «Erst als die Hilferufe aus den Spitälern laut wurden, konnte sich die Politik zum Handeln aufraffen – aber da war es schon zu spät.»

Weil sich das bei der Klimakrise nicht wiederholen dürfe, müsse man alles daransetzen, dass es nicht erst die grosse Katastrophe braucht, bis man handelt. Brülhart: «Allerdings bin ich eher pessimistisch, was das angeht – weil die Klimakrise mit noch mehr Unsicherheiten behaftet ist und noch mehr Partikularinteressen mitspielen als in der Pandemie.» Ausserdem sei die Klimakrise ein viel komplexeres Problem als die Pandemie. «Fürs Klima gibt es keine Impfung. Es gibt hunderttausend kleine Massnahmen in allen Lebensbereichen, die man treffen kann, aber nicht die eine, erschwingliche Massnahme wie das Impfen.»

Und wenn man wie bei Corona nun auch fürs Klima die Staatskassen öffnet, wie es Aktivisten fordern? Was die Geldflüsse angeht, könne man die beiden Krisen nicht vergleichen, sagt der Ökonom. «Bei Corona waren diese vor allem möglich, weil man wusste, dass es eine Frage von Monaten ist, bis die Krise überstanden ist. Das ist beim Klimawandel ganz anders – er wird auch noch die Generationen nach uns beschäftigen. Wenn Corona ein Marathon ist, ist der Klimawandel ein Ironman.»

Kommt die Taskforce?

Fraglich ist auch, ob in der Schweiz eine nun vielfach geforderte Klima-Taskforce zustande kommt. Zwar möchte Umweltministerin Simonetta Sommaruga einen engeren Austausch mit der Wissenschaft pflegen. In welcher Form und Häufigkeit, ist aber derzeit offen.

Ob die Pandemie also tatsächlich zum Lehrstück für die Bekämpfung des Klimawandels wird, ist zurzeit völlig unklar. Zwar habe die Corona-Krise deutlich gezeigt, dass die Politik schnell etwas bewirken könne, wenn sie nur wolle, sagt Bernd Nilles von Alliance Sud. «Noch stuft die Politik sowohl auf internationaler Ebene als auch in der Schweiz die Dringlichkeit des Handelns bei der Klimakrise als geringer ein als bei der Pandemie. Und das, obwohl der Planet schon jetzt gravierende Krankheitssymptome aufweist.»

Um die Klimakrise zu bewältigen, seien systemische Lösungen gefragt. Die grösste Gefahr sei die alte, politische Normalität. Nur: Genau die scheint am Klimagipfel schon wieder an der Tagesordnung zu sein – zumindest sieht es Greta Thunberg (18) so.

Die Klimaaktivistin warf den Regierenden bei einer Demonstration in Glasgow vor, den Status quo trotz Ausbeutung von Mensch und Natur erhalten und davon weiter profitieren zu wollen. Die Klimakonferenz sei nichts anderes als Imagepolitik, ein «Greenwashing-Festival».

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