Schutz im Internet
Was tun, wenn ein Kind mit Pornografie in Berührung kam?

Das erste Smartphone eröffnet Kindern eine neue Welt – mit allen Chancen und Risiken. Eine der grössten Herausforderungen der Erziehungsarbeit liegt darin, sie zu schützen. Regula Bernhard Hug von der Stiftung Kinderschutz Schweiz erklärt, wie das gelingen kann.
Publiziert: 12:09 Uhr
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Aktualisiert: 16:14 Uhr

Auf einen Blick

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Sylvie KempaRedaktorin Service

Mit zwölf Jahren erhält Lio sein erstes Smartphone. Seine Eltern bereiten ihn gut darauf vor. Sie besprechen Sicherheit und Risiken mit ihm und vereinbaren klare Regeln: begrenzte Bildschirmzeit, handyfreie Zonen und anfängliche Chat-Kontrollen.

Alles läuft gut, bis Lio von einem Video erzählt, das pornografische Szenen zeigt. Ein Klassenkamerad hat ihm den Link geschickt und gesagt, er müsse nur bestätigen, dass er schon 18 sei. Der Schock ist gross, damit haben die Eltern nicht gerechnet.

Aufklärung nützt, wo Abschirmung versagt

Diese Erfahrung ist laut Regula Bernhard Hug von Kinderschutz Schweiz kein Einzelfall. «Früher oder später werden Kinder über Gleichaltrige mit verstörenden Themen in Berührung kommen. Das muss nicht einmal auf dem eigenen Gerät passieren.» Sie empfiehlt Eltern, belastende Themen frühzeitig und altersgerecht anzusprechen. «Das ist besser als starkes Überbehüten. Denn so wissen die Kinder, dass sie sich mit Fragen oder Ängsten an die Eltern wenden können.»

Wie funktionier Kinderschutz im Netz?

Eltern tragen nicht allein die Verantwortung für den Schutz ihrer Kinder im Internet. Regula Bernhard Hug betont, dass es ein Zusammenspiel zwischen Familie, Schule, Politik und Wirtschaft braucht. Die Stiftung Kinderschutz Schweiz fordert von den verschiedenen Akteuren:

Eltern: «Sie sollten mit ihren Kindern im Austausch bleiben, technische Schutzmassnahmen ergreifen und gemeinsam Regeln für die Internetnutzung aufstellen.»

Schulen: «Sie müssen digitale Bildung frühzeitig integrieren und klare Leitlinien für den Umgang mit digitalen Medien schaffen. Dazu gehören auch digitale Freiräume.»

Politik: «Strengere gesetzliche Vorgaben sind notwendig, um Unternehmen zu regulieren, die von der Onlinezeit und den Daten von Kindern profitieren.»

Wirtschaft und Online-Plattformen: «Sie sollten ihre Angebote nach dem Prinzip «Safety by Design» und «Privacy by Default» (= Datenschutz als Voreinstellung) gestalten, sodass Schutzmechanismen standardmässig integriert sind.»

Eltern tragen nicht allein die Verantwortung für den Schutz ihrer Kinder im Internet. Regula Bernhard Hug betont, dass es ein Zusammenspiel zwischen Familie, Schule, Politik und Wirtschaft braucht. Die Stiftung Kinderschutz Schweiz fordert von den verschiedenen Akteuren:

Eltern: «Sie sollten mit ihren Kindern im Austausch bleiben, technische Schutzmassnahmen ergreifen und gemeinsam Regeln für die Internetnutzung aufstellen.»

Schulen: «Sie müssen digitale Bildung frühzeitig integrieren und klare Leitlinien für den Umgang mit digitalen Medien schaffen. Dazu gehören auch digitale Freiräume.»

Politik: «Strengere gesetzliche Vorgaben sind notwendig, um Unternehmen zu regulieren, die von der Onlinezeit und den Daten von Kindern profitieren.»

Wirtschaft und Online-Plattformen: «Sie sollten ihre Angebote nach dem Prinzip «Safety by Design» und «Privacy by Default» (= Datenschutz als Voreinstellung) gestalten, sodass Schutzmechanismen standardmässig integriert sind.»

Obwohl Eltern ihre Kinder nicht vollumfänglich vor ungeeigneten Inhalten abschirmen können, bleiben technische Schutzmassnahmen relevant. «Kindersicherungen und Filter sind wichtig, auch wenn die Kinder sie umgehen können. Sie senden das wichtige Signal: Du bist mir nicht egal. Alleine reichen sie jedoch nicht aus.»

Ungeeignete Inhalte schädigen die Entwicklung

Bei Lio lief es gut: Er sprach mit seinen Eltern über das Erlebte und konnte seine Gefühle begleitet verarbeiten. Viele Kinder bleiben mit solchen Erfahrungen alleine. Eine weltweite Umfrage zeigt: Über 90 Prozent der Kinder und Jugendlichen empfinden Gespräche mit ihren Eltern über Internet-Erlebnisse als schwierig. Viele fühlen sich schon mit zehn Jahren selbst für ihre Sicherheit im Netz verantwortlich.

Je nach Studie sind 10 bis 25 Prozent der jungen Internetnutzenden regelmässig mit ungeeigneten oder süchtig machenden Inhalten konfrontiert. «Ein verändertes Sozialverhalten kann ein Warnsignal sein», so Bernhard Hug. «Wenn sich ein Kind zunehmend in die virtuelle Welt zurückzieht und das Interesse an Freunden oder realen Aktivitäten verliert, sollten Eltern aufmerksam werden.» Es gelte, interessiert zu bleiben und das Gespräch zu suchen.

Über Pornos sprechen wie über einen Actionfilm

In ihrem Berufsalltag macht Sexualpädagogin Madalena Heinzl (29) die Erfahrung, dass auch schon Kinder im Alter zwischen 9 und 10 Jahren teilweise mit Pornografie in Berührung kommen. Sie plädiert dafür, Kindern «Pornokompetenz» zu vermitteln. Das bedeutet Aufklärung darübe,r wie Pornos entstehen. Ihnen sollte bewusst sein, dass Pornos von Schauspielerinnen und Schauspielern gedreht werden und nicht als Anleitung für das Erleben der eigenen Sexualität dienen.

Um dies altersgerecht zu veranschaulichen, empfiehlt sie den Vergleich mit einem Actionfilm: «In Actionfilmen sieht man kaum jemanden, der bei einer Flucht mühsam aus dem ersten Stock klettert. Die Leute springen vom Dach und landen quasi auf den Füssen. Alles andere würde die Zuschauer langweilen, obwohl sie wissen, dass das Gezeigte unrealistisch ist.» In Workshops an Schulen erklärt sie, dass pornografische Videos ähnich gefaked werden. «Für Pornodrehs gibt es diverse Kniffs. Statt echtem Sperma werden für manche Einstellungen zum Beispiel Getränke oder andere Flüssigkeiten verwendet, die ähnlich aussehen. Und wenn es mit der Erektion nicht mehr klappt, kann man mit Spritzen in die Schwellkörper nachhelfen.»

Dass Kinder durch die direkte und offene Erklärung einen Schaden davontragen, darum müssen sich Eltern keine Sorgen machen. «Kinder können das in der Regel gut verkraften. Blöd ist, wenn es die erste und einzige Information zum Thema Sexualität bleibt, die sie haben. Dann ist die Gefahr gross, dass sie pornografische Inhalte als Dokumentarfilm betrachten. Es ist wichtig, Kindern zu signalisieren, dass sie zu einem kommen können, wenn sie etwas sehen, das sie nicht verstehen, sie verängstigt oder anekelt. Und dass sie sich nicht davor fürchten müssen, ein Handyverbot zu kriegen. Denn das ist ihre grösste Angst.»

Das ganze Gespräch findet ihr im Artikel: «Wie erkläre ich Kindern Pronografie?»

In ihrem Berufsalltag macht Sexualpädagogin Madalena Heinzl (29) die Erfahrung, dass auch schon Kinder im Alter zwischen 9 und 10 Jahren teilweise mit Pornografie in Berührung kommen. Sie plädiert dafür, Kindern «Pornokompetenz» zu vermitteln. Das bedeutet Aufklärung darübe,r wie Pornos entstehen. Ihnen sollte bewusst sein, dass Pornos von Schauspielerinnen und Schauspielern gedreht werden und nicht als Anleitung für das Erleben der eigenen Sexualität dienen.

Um dies altersgerecht zu veranschaulichen, empfiehlt sie den Vergleich mit einem Actionfilm: «In Actionfilmen sieht man kaum jemanden, der bei einer Flucht mühsam aus dem ersten Stock klettert. Die Leute springen vom Dach und landen quasi auf den Füssen. Alles andere würde die Zuschauer langweilen, obwohl sie wissen, dass das Gezeigte unrealistisch ist.» In Workshops an Schulen erklärt sie, dass pornografische Videos ähnich gefaked werden. «Für Pornodrehs gibt es diverse Kniffs. Statt echtem Sperma werden für manche Einstellungen zum Beispiel Getränke oder andere Flüssigkeiten verwendet, die ähnlich aussehen. Und wenn es mit der Erektion nicht mehr klappt, kann man mit Spritzen in die Schwellkörper nachhelfen.»

Dass Kinder durch die direkte und offene Erklärung einen Schaden davontragen, darum müssen sich Eltern keine Sorgen machen. «Kinder können das in der Regel gut verkraften. Blöd ist, wenn es die erste und einzige Information zum Thema Sexualität bleibt, die sie haben. Dann ist die Gefahr gross, dass sie pornografische Inhalte als Dokumentarfilm betrachten. Es ist wichtig, Kindern zu signalisieren, dass sie zu einem kommen können, wenn sie etwas sehen, das sie nicht verstehen, sie verängstigt oder anekelt. Und dass sie sich nicht davor fürchten müssen, ein Handyverbot zu kriegen. Denn das ist ihre grösste Angst.»

Das ganze Gespräch findet ihr im Artikel: «Wie erkläre ich Kindern Pronografie?»

Auch legale Inhalte sind für Kinder ungeeignet

Ungeeignete digitale Inhalte haben reale Auswirkungen – manchmal bis ins Erwachsenenalter. «Ein zu früher und regelmässiger Pornografiekonsum, insbesondere bei Jungen, kann zu problematischen Beziehungen führen. Sie entwickeln ein verzerrtes Körperbild, übernehmen unrealistische Vorstellungen der Pornoindustrie und haben Schwierigkeiten, ihre eigene Sexualität auf natürliche Weise zu entdecken.»

Auch vermeintlich Harmloses birgt Risiken. Dazu gehören nicht nur Desinformation oder KI-erzeugte Inhalte, sondern auch retuschierte Selfies. Geschönte Bilder können ein verzerrtes Selbstbild fördern. Studien zeigen einen klaren Zusammenhang zwischen Social-Media-Konsum und einem erhöhten Risiko für Depressionen und Essstörungen.

Regula Bernhard Hug, Leiterin der Geschäftsstelle von Kinderschutz Schweiz, ist ehemalige Primarlehrerin und Mutter.
Foto: Kinderschutz Schweiz

Zudem kann der ständige Strom an Informationen die Hirnentwicklung beeinträchtigen. «Viele Kinder haben Mühe, sich längere Zeit auf eine Aufgabe zu konzentrieren», erklärt Bernhard Hug. «Digitale Inhalte rauben ihnen kostbare Erfahrungen in der realen Welt. Jedes Video auf dem Tablet kostet wertvolle Sinneserlebnisse.» Weil nur die reale Welt mit allen Sinnen erlebbar ist, sei es wichtig, den Zugang zu digitalen Inhalten so lange wie möglich hinauszuzögern.

Das Smartphone öffnet die Tür für Straftaten

Wann also ist der richtige Zeitpunkt fürs erste Smartphone? Die Medienpädagogik argumentiert, dass ein früher Einstieg den kompetenten Umgang fördert. Regula Bernhard Hug sieht das anders: «Die meisten Studien belegen die Nachteile einer frühen Smartphone-Nutzung.»

Fakt ist: Bereits über die Hälfte der Kinder in der Schweiz erlebt eine Form von sexualisierter Gewalt im Netz. «Von sexueller Belästigung bis hin zu erzwungenen sexuellen Handlungen an sich selbst vor laufender Kamera: Immer nehmen die Täter oder Täterinnen über Social Media oder Gaming-Chatforen den ersten Kontakt mit dem Kind auf.»

Kinderschutz Schweiz stützt sich auf Erkenntnisse aus Neurologie, Kriminalstatistik und Psychiatrie. «Das kindliche Gehirn kann sich in der Flut an Reizen und Dopaminschüben nicht selbst regulieren. Die Fähigkeit zur Impulskontrolle entwickelt sich erst mit 14 Jahren vollständig.» Deshalb empfiehlt Bernhard Hug: «Ein eigenes Smartphone so spät wie möglich – idealerweise erst mit 14 – und immer in Absprache mit den Eltern der realen Freunde.»

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