Zehn Prozent der 9- bis 10-jährigen Kinder in der Schweiz sind gemäss der Studie «EU Kids Online Schweiz» aus dem Jahr 2019 im Internet schon einmal auf sexuelle Inhalte gestossen. Bei den 13- bis 14-Jährigen ist es bereits die Hälfte. Nicht zuletzt aufgrund dieser Zahlen tritt dieses Jahr in der Schweiz ein Gesetz in Kraft, das Internetplattformen vorschreibt, das Alter der Nutzer zu überprüfen. Gegner sprechen von Ausweiszwang, sind mit einem Referendum aber gescheitert. Sexualpädagoginnen wie Madalena Heinzl (27) verfolgen einen anderen Ansatz. Sie wollen, dass Minderjährige mit Pornografie so umgehen können, dass sie ihnen so wenig wie möglich schadet.
Blick: Frau Heinzl, Internet und Social Media machen Pornografie für Kinder und Jugendliche leicht zugänglich. Welche Anzeichen gibt es dafür bei Ihrer Arbeit?
Madalena Heinzl: Ich werde meistens in Klassen eingeladen, in der die Kinder 9 bis 11 Jahre alt sind. Mindestens einmal pro Workshop hat jemand eine Frage zum Thema Pornografie. Das heisst, dass die Schülerinnen und Schüler damit Kontakt hatten. Manchmal sind die Dinge, die sie wissen wollen, ganz konkret.
Was wollen sie wissen?
Warum die Erwachsenen in den Filmen so laut stöhnen, zum Beispiel. Einmal hat jemand erzählt, er habe einen Film gesehen, in dem sich eine Frau eine Gurke eingeführt hat.
Wie beantworteten Sie die Gurken-Frage?
Eine solche Frage kommt meistens in einem bestimmten Kontext. Zum Beispiel dann, wenn es ums Thema Selbstbefriedigung geht. Ich sage dann, dass sich Menschen ganz unterschiedlich selbst stimulieren und in Pornos dazu oft Dinge verwendet würden, die einem beim Gedanken an Sexualität nicht als Erstes einfallen. Die Kinder sollen wissen, dass es grundsätzlich nicht empfehlenswert ist, sich irgendwelche Alltagsgegenstände in Körperöffnungen einzuführen.
Magdalena Heinzl (27) gehört zu den gefragtesten Sexologinnen und Sexualpädagoginnen im deutschsprachigen Raum. Sie betreibt in der Gemeinde Puchenau bei Linz, in der sie aufgewachsen ist, ein Zentrum für sexuelle Bildung und gibt in ganz Österreich und Deutschland unter anderem Workshops in Schulen oder berät Eltern und ihre Kinder im Umgang mit Sexualität. Dass Heinzl jung ist für den Beruf, den sie ausübt, kompensiere sie mit ihrer Körpergrösse, wie sie mit einem Augenzwinkern sagt. «Ich bin 1,81 gross.»
Magdalena Heinzl (27) gehört zu den gefragtesten Sexologinnen und Sexualpädagoginnen im deutschsprachigen Raum. Sie betreibt in der Gemeinde Puchenau bei Linz, in der sie aufgewachsen ist, ein Zentrum für sexuelle Bildung und gibt in ganz Österreich und Deutschland unter anderem Workshops in Schulen oder berät Eltern und ihre Kinder im Umgang mit Sexualität. Dass Heinzl jung ist für den Beruf, den sie ausübt, kompensiere sie mit ihrer Körpergrösse, wie sie mit einem Augenzwinkern sagt. «Ich bin 1,81 gross.»
Sie plädieren für Porno-Kompetenz. Was verstehen Sie darunter?
Dass ich mir bewusst bin, dass Pornos keine Anleitung sein sollten, wie ich selbst Sexualität erleben möchte. Die Schauspieler erfüllen sich auch meist nicht die eigenen erotischen Fantasien, sondern befolgen die Anweisungen des Drehbuchs und des Regisseurs. Mit der Realität hat das wenig zu tun. Wie auch bei Actionfilmen wird das Publikum oft mit möglichst extremen Inhalten bei Laune gehalten.
Wie meinen Sie das?
In Actionfilmen sieht man kaum jemanden, der bei einer Flucht mühsam aus dem ersten Stock klettert. Die Leute springen von Dach und landen quasi auf den Füssen. Alles andere würde die Zuschauer langweilen, obwohl sie wissen, dass das Gezeigte unrealistisch ist. Genauso wichtig wäre es, ein Gespür zu haben, was an einem Porno echt und was «fake» ist.
Welche Beispiele haben Sie dafür?
Gewaltdarstellungen, bei denen es so wirkt, als hätten nicht alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen gleich viel Spass an der Sache, sind vorher natürlich abgesprochen. Falls nicht, ist das nicht mehr Porno, sondern Gewalt auf Video. Für Pornodrehs gibt es diverse Kniffs. Statt echtem Sperma werden für manche Einstellungen zum Beispiel Getränke oder andere Flüssigkeiten verwendet, die ähnlich aussehen. Und wenn es mit der Erektion nicht mehr klappt, kann man mit Spritzen in die Schwellkörper nachhelfen.
Wie wirken solche Details auf die Schüler?
Ernüchternd. Ich mache mit ihnen auch eine Übung mit dem Titel: «Was braucht man, um den perfekten Pornofilm zu drehen?» Wer glaubt, die Schüler würden das danach umsetzen wollen, täuscht sich. Wenn sie verstehen, wie viele Leute am Set sind, wie mühsam die Suche nach Räumlichkeiten ist und wie viel Administration ein Casting mit sich bringt, hat das einen entzaubernden Effekt. Es nimmt der Pornografie ihren Mythos.
Ab welchem Alter der Kinder sollte man sich über ihre Porno-Kompetenz Gedanken machen?
Sobald Eltern ihren Kindern Geräte mit Internetzugang zur Verfügung stellen, können sie mit dem Thema konfrontiert werden. Dazu gehören auch die Momente, in denen der Sohn oder die Tochter am iPhone oder Tablett Spiele spielen darf, damit sich die Erwachsenen ungestört unterhalten können. Wenn die Games kostenlos sind, zeigen sie häufig personalisierte Werbung. Wenn ein Elternteil auf dem Smartphone Pornografie konsumiert, kann es sein, dass selbst in Kinderspielen dementsprechende Inhalte auftauchen.
Für die meisten Eltern dürfte das eine Horrorvorstellung sein.
Natürlich ist es wichtig, als Eltern dafür zu sorgen, dass es möglichst nicht zu solchen Situationen kommt. Doch selbst wenn sie ihre Kinder komplett abschotten, werden diese mit Pornografie in Kontakt kommen. Wenn ihnen ein Klassenkamerad zum Beispiel ein Handy mit einem Film unter die Nase hält und sie als Mutprobe dazu auffordert, ihn anzugucken.
Wie gross ist die Gefahr, dass ein Kind davon traumatisiert wird?
Kinder können das in der Regel gut verkraften. Blöd ist, wenn es die erste und einzige Information zum Thema Sexualität bleibt, die sie haben. Dann ist die Gefahr gross, dass sie pornografische Inhalte als Dokumentarfilm betrachten. Es ist wichtig, Kindern zu signalisieren, dass sie zu einem kommen können, wenn sie etwas sehen, das sie nicht verstehen, sie verängstigt oder anekelt. Und dass sie sich nicht davor fürchten müssen, Handyverbot zu kriegen. Denn das ist ihre grösste Angst.