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Arbeitsbeziehung verbessern – Experte gibt Tipps
Wie du glücklicher wirst bei der Arbeit

Nirgendwo fühlen sich Schweizerinnen und Schweizer so ungerecht behandelt wie am Arbeitsplatz. Arbeitspsychologe Stefan Heer (49) weiss, was Betroffene ändern können. Einige seiner Ratschläge sind schwer verdaulich.
Publiziert: 07.12.2024 um 11:52 Uhr
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Aktualisiert: 12.12.2024 um 10:39 Uhr

Auf einen Blick

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Jonas DreyfusService-Team

Wer in der Schweiz Vollzeit arbeitet, kommt gemäss Zahlen des Bundes nach Abzug von Absenzen auf eine jährliche Arbeitszeit von 1819 Stunden. Am Stück gerechnet sind das fast 76 Tage mit 24 Stunden.

Für zahlreiche Arbeitnehmende muss sich diese Zeitspanne noch deutlich länger anfühlen. Darauf weist das «Beobachter»-Gerechtigkeitsbarometer 2024 hin. Ein Viertel der Befragten gibt an, im Job Ungerechtigkeit erlebt zu haben – so viele wie in keinem anderen Bereich.

Arbeits- und Organisationspsychologe Stefan Heer (49) hat einen Online-Test entwickelt, mit dem jeder seine Beziehung zum Arbeitsplatz überprüfen kann. Wie man diese verbessern kann, weiss Heer auch. Doch Vorsicht: Einige seiner Tipps sind unbequem.

Stefan Heer aus Bühler AR ist Arbeits- und Organisationspsychologe und CEO der Firma Leadnow. Ein Teil seiner Arbeit besteht daraus, im Auftrag von Unternehmen Teams dabei zu unterstützen, sich weiterzuentwickeln. Oftmals geht es dabei um Krisenmanagement.

Blick: Herr Heer, gibt es Gerechtigkeit im Job?
Stefan Heer:
Nein. Jemand verdient immer mehr, hat es weniger streng und macht etwas Interessanteres als man selbst. Dieses ständige Vergleichen untereinander bringt nichts – und ist meistens ein Zeichen dafür, dass man mit der Chefin oder dem Chef nicht klarkommt.

Das Gerechtigkeits-Barometer des Beobachters: Wie gerecht ist die Schweiz?

Mit dem Gerechtigkeits-Barometer ermittelt der Beobachter in Kooperation mit Coop Rechtsschutz ein Stimmungsbild, wie fair sich unterschiedliche Bevölkerungsgruppen behandelt fühlen und welche systematischen Ungerechtigkeiten es gibt. Aus dem Befund leiten wir ab, welche Massnahmen für mehr Gerechtigkeit getroffen werden müssten. Um Entwicklungen aufzuzeigen, wird die repräsentative Befragung jährlich im Herbst durchgeführt.
Das vollständige Gerechtigkeits-Barometer finden Sie hier.

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Mit dem Gerechtigkeits-Barometer ermittelt der Beobachter in Kooperation mit Coop Rechtsschutz ein Stimmungsbild, wie fair sich unterschiedliche Bevölkerungsgruppen behandelt fühlen und welche systematischen Ungerechtigkeiten es gibt. Aus dem Befund leiten wir ab, welche Massnahmen für mehr Gerechtigkeit getroffen werden müssten. Um Entwicklungen aufzuzeigen, wird die repräsentative Befragung jährlich im Herbst durchgeführt.
Das vollständige Gerechtigkeits-Barometer finden Sie hier.

Wie meinen Sie das?
Die Beziehung zu Vorgesetzten prägt das Gerechtigkeitsempfinden der Mitarbeiter. Wer sich unfair behandelt fühlt, kann das Gespräch suchen. Das lohnt sich immer. Wenn sich nichts ändert, kann man wenigstens stolz darauf sein, alles versucht zu haben. Man kann aber auch an seiner eigenen Einstellung arbeiten.

Wie denn?
Indem man zum Beispiel versucht, der Chefin oder dem Chef nicht automatisch böse Absichten zu unterstellen. Vorgesetzte sind auch Menschen.«Dieses Mal muss ich jetzt halt diese mühsame Aufgabe erledigen, nächstes Mal ist dann jemand anders dran.» Wer solche Dinge zu sich sagt, fühlt sich weniger schnell ungerecht behandelt.

Gute Vorgesetzte sorgen laut Heer für ein Klima, in dem jeder das Gefühl von Selbstwirksamkeit spürt.
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Frauen, die für denselben Job weniger verdienen als ihr männlicher Kollege, können lange an ihrer eigenen Einstellung arbeiten – mehr Lohn erhalten sie deswegen nicht.
Aber sie können ihr Glück selbst in die Hand nehmen, indem sie sich wehren oder zumindest ihre Unzufriedenheit kundtun. Das tun ja auch viele. Natürlich sind Unternehmen ebenfalls gefordert. Ein Problem sehe ich darin, dass immer noch hauptsächlich Männer entscheiden, wer wie viel verdient.

Sie haben einen Arbeitsbeziehungs-Check mit entworfen. Bitte erklären Sie, wie er funktioniert.
Man wird zum Beispiel gefragt, wie sehr Aussagen wie «In unserem Team werden Abmachungen eingehalten» und «Wenn etwas im Argen ist, wird darüber gesprochen» auf den eigenen Job zutreffen. Es sind simple Dinge, die entscheidend sind für eine gute Life-Life-Balance.

Teste deine Beziehung zur Arbeit!

«Es geht um die Beziehung!», sagt Heer. «Auch im Arbeitsleben.» Dies sei eines seiner wichtigsten Fazits nach rund zwanzig Jahren Führungs- und Organisationsentwicklung. Der Arbeitsbeziehungs-Check, den er mitentwickelt hat, besteht aus sechs Dimensionen zu Themen wie Zusammenarbeit, Identifikation und Selbstwirksamkeit und hat insgesamt rund 25 Fragen.

In der aktuellen Version gibt es zum Schluss ein individuelles Feedback zur persönlichen Arbeitsbeziehung. Heer: «Sobald wir genügend Datengrundlagen haben, bauen wir den Test aus, mit Feedback zu den individuellen Dimensionen.»

Hier gehts zum Arbeitsbeziehungs-Check.

«Es geht um die Beziehung!», sagt Heer. «Auch im Arbeitsleben.» Dies sei eines seiner wichtigsten Fazits nach rund zwanzig Jahren Führungs- und Organisationsentwicklung. Der Arbeitsbeziehungs-Check, den er mitentwickelt hat, besteht aus sechs Dimensionen zu Themen wie Zusammenarbeit, Identifikation und Selbstwirksamkeit und hat insgesamt rund 25 Fragen.

In der aktuellen Version gibt es zum Schluss ein individuelles Feedback zur persönlichen Arbeitsbeziehung. Heer: «Sobald wir genügend Datengrundlagen haben, bauen wir den Test aus, mit Feedback zu den individuellen Dimensionen.»

Hier gehts zum Arbeitsbeziehungs-Check.

Wie unterscheidet sich die Life-Life-Balance von der Work-Life-Balance?
Der Begriff Work-Life-Balance suggeriert, dass das Leben aufhört, wenn man zu arbeiten beginnt. Wenn ich Life-Life-Balance sage, heisst das nicht, dass man Arbeit und Freizeit nicht trennen darf. Es geht um die Frage, wie man die Arbeitszeit als sinnvollen Teil der Lebenszeit erleben kann.

Warum ist das in Ihren Augen wichtig?
Die Lebenszeit ist das Kostbarste, was Menschen haben, denn sie zerrinnt unwiederbringlich. Wir müssen entscheiden, wie wir sie nutzen wollen. Es bleibt uns gar nichts anderes übrig.

Eine Frau liegt resigniert auf dem Sofa. Das Leben sei ungerecht, sagt Heer. Trotzdem könne man seinen Weg gehen.
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Viele Arbeitnehmende sorgen sich um ihre Jobs und leiden unter steigenden Mieten, Gesundheitskosten etc. Muss man im Moment nicht einfach froh sein, nicht arbeitslos zu sein?
Für jemanden, der schuftet und trotzdem kaum über die Runden kommt, mögen sich meine Aussagen zynisch anhören. Die Grundfrage, die man sich stellen muss, ist aber für alle dieselbe: Übernehme ich die Verantwortung für mein Leben, oder delegiere ich sie an jemand anderen wie den Arbeitgeber. Schuldzuweisung und Rechtfertigungen sind verlockende Fallen.

Weshalb verlockend?
Weil es halt bequem ist, dem Motto «Ich habe ein schlechtes Leben, aber wenigstens weiss ich, wer oder was schuld daran ist», zu folgen.

Ich bin am kürzeren Hebel? Ein Denkfehler!

Oft höre er Dinge wie «Ich kann eh nichts tun, ich bin am kürzeren Hebel», sagt Stefan Heer. «Das ist ein Denkfehler!»

Warum? Deshalb:

«Sich wehren heisst nicht unbedingt, auf den Tisch zu hauen. Vorgesetzte sind verständnisvoller und lösungsorientierter, wenn man die Themen wohlwollend und positiv anspricht. Auch wenn sie einen innerlich aufregen!»

«Mal hat man weniger Spielraum, mal mehr. Einen minimalen Spielraum gibt es jedoch immer. Wer darauf fokussiert und darauf, was er oder sie ändern kann, fühlt sich besser und erreicht mehr.»

«Nicht selten sind die Grenzen im eigenen Kopf. Man denkt: ‹Das geht nicht, das darf ich nicht.› Ich empfehle, solche vermuteten Grenzen achtsam Schritt für Schritt zu überprüfen. Oft ist man erstaunt, dass die Grenze deutlich weiter hinten ist, als man sie vermutet hat.»

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Oft höre er Dinge wie «Ich kann eh nichts tun, ich bin am kürzeren Hebel», sagt Stefan Heer. «Das ist ein Denkfehler!»

Warum? Deshalb:

«Sich wehren heisst nicht unbedingt, auf den Tisch zu hauen. Vorgesetzte sind verständnisvoller und lösungsorientierter, wenn man die Themen wohlwollend und positiv anspricht. Auch wenn sie einen innerlich aufregen!»

«Mal hat man weniger Spielraum, mal mehr. Einen minimalen Spielraum gibt es jedoch immer. Wer darauf fokussiert und darauf, was er oder sie ändern kann, fühlt sich besser und erreicht mehr.»

«Nicht selten sind die Grenzen im eigenen Kopf. Man denkt: ‹Das geht nicht, das darf ich nicht.› Ich empfehle, solche vermuteten Grenzen achtsam Schritt für Schritt zu überprüfen. Oft ist man erstaunt, dass die Grenze deutlich weiter hinten ist, als man sie vermutet hat.»

Was kann man verändern?
Dinge, die veränderbar sind. Darauf sollte man sich fokussieren. Wenn ich mir selbst beweisen will, dass ich mein Leben aktiv verändern kann, dann schaffe ich das. Das nennt man Selbstwirksamkeit.

Was könnten veränderbare Dinge sein?
Dass man zum Beispiel einen Kurs besucht, den das Unternehmen anbietet, und dann für ein Thema Ansprechperson ist im Team. Oder ein anderes Beispiel: Mir hat einmal eine Pflegefachkraft gesagt, dass sie jedem Patienten ein Lächeln schenke. «Das kostet keine Zeit, und es kommt so viel zurück.» Bei zu grosser Unzufriedenheit sollte man sich schlaumachen, was für andere Jobs es noch gibt, die einem gefallen könnten. Vielleicht auch in einer anderen Branche.

Ein Branchenwechsel ist eine existenzielle Entscheidung, vor der sich viele fürchten.
Noch mehr als vor einem Branchenwechsel würde ich mich vor der Frage fürchten, die ich mir vielleicht mit 80 stellen werde: «Habe ich meine Lebenszeit gut eingesetzt?» Ich empfehle, sich diese Frage in jedem Alter zu stellen. Aber klar: Was ich empfehle, ist nicht einfach umzusetzen. Im Gegenteil! Aber man kann auch in der Freizeit eine Form von Erfüllung finden.

Haben Sie ein Beispiel dazu?
Als der Ukraine-Krieg ausgebrochen ist, sagte einer meiner Geschäftspartner: «Gegen den Krieg können wir nichts machen. Aber wir können Betten suchen für Flüchtlinge, die zu uns kommen werden.» Innerhalb von sechs Wochen haben wir eine Plattform aufgebaut, die so auf Anklang stiess, dass wir sie fürs Staatssekretariat für Migration und die Kantone betrieben. Im Ganzen wurden rund 100’000 Betten gesammelt.

Nicht jeder hat Zeit für so etwas.
Ich habe meine gesamte Freizeit dafür geopfert. Doch die Chance, den Auswirkungen des Krieges entgegenzuwirken, hat mich motiviert wie nie zuvor. Meine Frau hat mir den Rücken freigehalten – aber nur, weil ich etwas sinnvolles tat. Sonst hätte sie mich vermutlich verlassen.

Warum sind für viele kriminelle Ausländer das Hauptproblem?

Gerechtigkeit ist eine Grundvoraussetzung, damit Gesellschaft und Demokratie funktionieren. Aber wie gerecht ist die Schweiz? Bei welchen Themen tun sich Gräben auf? Und wer soll Ungerechtigkeiten beseitigen? Diesen Fragen geht der Beobachter mit dem Gerechtigkeits-Barometer auf den Grund – einer Umfrage, die nun jährlich gemacht wird. In dieser Podcast-Folge spricht der Beobachter über die wichtigsten Resultate. Hier geht es zum Podcast.

Andrea Klaiber und Anne Seeger

Gerechtigkeit ist eine Grundvoraussetzung, damit Gesellschaft und Demokratie funktionieren. Aber wie gerecht ist die Schweiz? Bei welchen Themen tun sich Gräben auf? Und wer soll Ungerechtigkeiten beseitigen? Diesen Fragen geht der Beobachter mit dem Gerechtigkeits-Barometer auf den Grund – einer Umfrage, die nun jährlich gemacht wird. In dieser Podcast-Folge spricht der Beobachter über die wichtigsten Resultate. Hier geht es zum Podcast.

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