Nein, nein – lesen Sie diesen Artikel nicht. Sie finden das sowieso uninteressant.
Erwischt! Sie haben zumindest begonnen, diesen Artikel zu lesen, obwohl Ihnen gerade davon abgeraten wurde. Der beleidigte Ton, mit dem Ihnen der Autor im ersten Satz des Artikels unterstellt, dass Sie sowieso kein Interesse daran hätten, wovon er schreibt, ist typisch für passiv-aggressives Verhalten.
Es definiert sich dadurch, dass jemand negative Gefühle indirekt statt direkt ausdrückt. Zum Beispiel, indem er «vergisst», den Müll rauszubringen, statt zu sagen, dass es ihm stinkt. Indem er sein Gegenüber anlacht und sagt, dass alles in Ordnung sei, um es danach stundenlang anzuschweigen.
Passive geht mit aktiver Aggression oft einher
Es ist naheliegend, dass eine Pandemie aggressives Verhalten generell begünstigt. Häusliche Gewalt hat im Jahr 2020 in Kantonen wie Zürich gemäss Kriminalstatistik zugenommen. Schweizerinnen und Schweizer verbringen viel mehr Zeit zu Hause, «die Situation» setzt Menschen unter Druck. Wenn die Polizei ausrücken muss, tut sie das zwar nie, weil jemand auf indirekte Weise negative Gefühle ausdrückt. Passiv-aggressives Verhalten geht in Beziehungen jedoch oft einher mit physischer Gewalt.
Hinzu kommen die Konflikte, die entstehen, wenn Menschen unterschiedlicher Auffassung sind, wie mit der Krise umgegangen werden soll. Nicht umsonst gaben beim letzten SRG-Corona-Monitor 62 Prozent der Befragten an, sich im privaten Umfeld schon über Impfung, Massnahmen etc. gestritten zu haben.
Der «Näseler», der die Maske extra falsch trägt
Eine passiv-aggressive Art, mit dem Gefühl der Bevormundung umzugehen, dem sich Massnahmengegner ausgesetzt fühlen, ist zum Beispiel das absichtlich falsche Tragen von Masken. Eine Autorin des amerikanischen Magazins «Psychology Today» zählt ganze elf Varianten auf, das zu tun. Vom Klassiker des «Näselers», der die Maske unter der Nase trägt, bis zur schlechten Angewohnheit, die Maske zum Sprechen (oder sogar zum Niesen) unters Kinn zu ziehen.
Sie werden sauer, weil Sie das schon erlebt haben? Dann hat der Passiv-Aggressive erreicht, was er will. Anstatt zu sagen, dass er wütend ist, hat er Sie dazu gebracht, sich genauso zu nerven wie er.
«Schweizerinnen und Schweizer sind Weltmeister in passiv-aggressivem Verhalten», sagt Stefan Heer (46) aus Bühler AR, Arbeits- und Organisationspsychologe und CEO der Firma Leadnow. Wenn er die Befindlichkeit von Mitarbeitern misst, stellt er ihnen oftmals die Frage: «Sagen Sie, wenn Ihnen etwas nicht passt?» Die meisten Schweizer unter den Befragten beantworten sie mit Nein. «Sie sind der Meinung, dass der Vorgesetzte von sich aus spüren muss, was seine Untergebenen brauchen.» Falls das nicht eintrifft, würden sich unglückliche Mitarbeiter oft passiv-aggressiv verhalten. «Mit dem Ziel, dass die Chefin oder der Chef dadurch spürt, wo der Schuh drückt.»
Die Deutschen müssen sagen, was sie denken
Anders sei das, wenn er mit Deutschen zu tun habe, sagt Heer. «Sie müssen sagen, was sie denken, sonst geht es ihnen nicht gut.» Hoffnung, dass sich etwas ändere, hätten die Deutschen hingegen wenig. Da seien die Schweizer optimistischer, «auch wenn sie sich seltener beschweren».
Egal, welcher Nationalität die Menschen angehören, die im Büro arbeiten: Es ist ein Ort, der passiv-aggressives Verhalten provoziert. Einem Freund oder einer Freundin mal die Meinung zu sagen oder einem Familienmitglied, kostet Überwindung. Doch im Arbeitsumfeld hat dasselbe eine unangenehm offizielle Komponente. Dann kommt es zu Aussprachen. Schon allein das Wort sorgt bei vielen für Schweissausbrüche.
«Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern»
Deshalb wählen Mitarbeiter oft unbewusst Taktiken, für die sie – wenn es hart auf hart kommt – schwer zur Rechenschaft gezogen werden können. Sie sabotieren Vorgesetzte oder andere Mitarbeiter, indem sie E-Mails ignorieren, extra verspätet antworten oder Abmachungen in Frage stellen. «Haben wir das so besprochen? Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern.»
Zum klassischen passiv-aggressiven Verhalten im Büroalltag gehört auch das, was Heer «Dienst nach Vorschrift» nennt. Ein Beispiel ist das Ausnützen von unglücklich formulierten E-Mails mit dem Ziel, den Sender auflaufen zu lassen. Heer: «Man weiss eigentlich genau, was er von einem wissen will, beantwortet die Frage aber genau so, wie sie gestellt wurde.»
Eine erwachsene Art, mit Konflikten umzugehen, wäre es, sie direkt anzusprechen, sagt Heer. Doch das braucht Energie. Gerade in Zeiten der Pandemie, die viele von uns zermürbt, fehle sie oft. Hinzu komme die Homeoffice-Situation, die dazu führt, dass wir Verhalten als passiv-aggressiv wahrnehmen, das es gar nicht ist. «Nicht jedes Mal, wenn uns jemand länger nicht zurückschreibt, tut er das absichtlich.»
Wenn Mimik und Gestik fehlen, drohen Missverständnisse
E-Mail ist laut Heer sowieso der perfekte Kanal, um aneinander vorbei zu kommunizieren. Wenn man nicht – wie im Büro – in Sichtweite voneinander sitzt, fallen Mimik und Gestik als Hilfsmittel weg, mit dem Gesagtes eingeordnet werden kann. Selbst liebevoll gemeinte Witze werden so schnell einmal als Sticheleien wahrgenommen.
Heer stellt sich deshalb drei Fragen, bevor er ein E-Mail verfasst: Sind negative oder positive Emotionen im Spiel? Geht es darum, etwas auszuhandeln? Gibt es irgendeine Annahme, das Gegenüber könnte den Inhalt des Mails falsch verstehen? «Wenn ich nur eine Frage mit Ja beantwortet, rufe ich lieber an, statt zu mailen.»
Heer empfiehlt Menschen, die im Moment schnell mal Dinge persönlich nehmen, Absicht und Wirkung von Verhalten, das als passiv-aggressiv aufgefasst werden kann, voneinander zu trennen. Wenn wir uns zum Beispiel im Zug von jemandem provoziert fühlen, der die Maske unter der Nase trägt, können wir uns vor Augen halten, dass er vielleicht einfach vergessen hat, sie richtig hochzuziehen. «Dann reicht es, ihn nett darauf aufmerksam zu machen, ohne dass einem gleich die Galle hochkommt.»
Angriffslustige Aktionen, auf die der Aggressor nicht eindeutig behaftet werden kann, nennt man fachsprachlich passiv-aggressives Verhalten. Es gehört zur menschlichen Natur – wenn jeder immer direkt ansprechen würde, was ihn stört, wäre der Alltag eine Kriegszone. Als krankhaft gilt, wenn jemand nicht anders kann, als negative Gefühle indirekt zu äussern, und sich damit selbst respektive seinem Umfeld starken Schaden zufügt.
Für diese extreme Form der verdeckten Wut gibt es den Begriff der passiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung. Während die WHO die Krankheit in ihrer ICD-Liste aufführt, hat sie die amerikanische Psychiatrie-Association aus ihrer gestrichen. Der Grund: Die pathologische Form von passiv-aggressivem Verhalten ist kaum erforscht.
Die wenigen Studien, die zum Thema existieren, gehen davon aus, dass eine autoritäre Erziehung dafür verantwortlich sein kann. Sie führt – vereinfacht ausgedrückt – dazu, dass jemand nicht Nein sagen kann und seinen Ärger deshalb verdeckt zum Ausdruck bringt.
Angriffslustige Aktionen, auf die der Aggressor nicht eindeutig behaftet werden kann, nennt man fachsprachlich passiv-aggressives Verhalten. Es gehört zur menschlichen Natur – wenn jeder immer direkt ansprechen würde, was ihn stört, wäre der Alltag eine Kriegszone. Als krankhaft gilt, wenn jemand nicht anders kann, als negative Gefühle indirekt zu äussern, und sich damit selbst respektive seinem Umfeld starken Schaden zufügt.
Für diese extreme Form der verdeckten Wut gibt es den Begriff der passiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung. Während die WHO die Krankheit in ihrer ICD-Liste aufführt, hat sie die amerikanische Psychiatrie-Association aus ihrer gestrichen. Der Grund: Die pathologische Form von passiv-aggressivem Verhalten ist kaum erforscht.
Die wenigen Studien, die zum Thema existieren, gehen davon aus, dass eine autoritäre Erziehung dafür verantwortlich sein kann. Sie führt – vereinfacht ausgedrückt – dazu, dass jemand nicht Nein sagen kann und seinen Ärger deshalb verdeckt zum Ausdruck bringt.