Darum gehts
- Tiermedizin nähert sich der Humanmedizin an, mit teils ungewöhnlichen Behandlungen
- Hodenimplantate für Hunde und Antidepressiva für Katzen sind umstritten
- Plastische Chirurgie für Tiere boomt in den USA.
Die rasante Entwicklung der Tiermedizin in den vergangenen Jahrzehnten führte dazu, dass sie sich immer mehr der Humanmedizin anglich. Waren um die Jahrtausendwende künstliche Hüftgelenke für Vierbeiner noch undenkbar, gehören sie mittlerweile zum Standardprozedere. Heute gilt: Was beim Menschen möglich ist, ist auch bei Tieren machbar.
In den USA sind die Möglichkeiten beinahe unbegrenzt. Plastische Chirurgie für Tiere boomt. Aber auch in Europa gibt es Behandlungen, die man bei Haustieren nicht erwarten würde. Blick hat die Top 7 der ungewöhnlichsten Behandlungen zusammengestellt und Experten um eine Einordnung gebeten.
Hodenimplantate für kastrierte Hunde
Kaum ein männlicher Halter, der seinen Vierbeiner im Laufe dessen Lebens kastrieren lassen musste, kennt diese Situation nicht: Man(n) fühlt mit! Die Kastration verändert auch die Optik des Gemächts. Abhilfe schaffen sogenannte Hodenimplantate, die dem Hund nach der OP eingeführt werden. Das Phänomen ist primär amerikanisch und machte den Erfinder der Hodenimplantate zum Multimillionär. Zumindest bis 2008 wurden solche Operationen auch in der Schweiz vorgenommen. Kostenpunkt: über 1000 Franken.
Dies werde heute in der Schweiz aber nicht mehr praktiziert, wie Roman Meier (39), Direktor der grössten, privaten Tierklinik der Schweiz Aarau West sagt: «Plastische Chirurgie aus rein kosmetischen Gründen ist in der Schweiz verboten. Eingriffe müssen immer einen medizinischen Grund haben.»
Antidepressiva für Katzen
Auch dieser Trend aus den USA wird hierzulande immer präsenter. Psychopharmaka werden unter anderem als Angstlöser oder zur Aggressionsregulierung bei Tieren eingesetzt. Kritiker monieren, dass die Ursachen für die Verhaltensauffälligkeiten in aller Regel hausgemacht und eine gute Erziehung und das richtige Umfeld entscheidend seien für das Verhalten des Tieres. Befürworter meinen, dass die Vorteile überwiegen würden, da das Tier weniger unter Stress stehe. Medikamente wie Reconcile mit dem Wirkstoff Fluoxetin, das speziell für Haustiere entwickelt wurde, kosten in Grossbritannien in der 30er-Packung rund 35 Pfund.
Für den Philosophen und Tierethiker Nico Müller (34) von der Universität Basel steht das Wohlergehen des Tieres im Vordergrund: «Solche Präparate sollten nicht eingesetzt werden, um die Halter zufriedenzustellen, sondern nur, wenn sie wirklich im besten Interesse des Tieres sind. Ansonsten geht es nicht mehr um den Patienten, sondern um den Kunden – das ist ein gravierender Unterschied.»
Stammzellentherapie
Mittlerweile lassen sich Stammzellen im Labor aus Eigengewebe züchten. Nicht überraschend, dass diese Form der Behandlung heute auch bei Tieren durchgeführt wird. Sie wird bei allerlei Gelenkerkrankungen eingesetzt oder nach Operationen. Dem Tier wird Fettgewebe entnommen, die enthaltenen Stammzellen werden im Labor isoliert und vermehrt.
Reiki (energetische Heilbehandlung) für Kleintiere
Auch alternative Behandlungsmethoden wie Chiropraktik, Osteopathie und Akupunktur werden bei Haustieren angewandt. Geht es aber um Reiki, driftet man vollends ins Esoterische ab. Durch Handauflegen soll bei dieser japanischen Methode der Energiefluss des Tieres wiederhergestellt werden. Anbieter behaupten Angststörungen und chronische Krankheiten lindern zu können, manche bieten gar «Fernbehandlungen» an: also Handauflegen ohne Handauflegen für 60 Franken!
Botox
Burger, Baseball, Botox! Wenn es um amerikanische Stereotype geht, darf das liebste Nervengift Hollywoods auf keiner Liste fehlen und ist mittlerweile auch in der Tiermedizin angekommen. Wenig überraschend stammt auch dieser Trend aus den USA: Ob Facelifting, Faltenstraffung oder Augenbrauenkorrektur, die Spritze machts möglich – auch bei Vierbeinern!
Homöopathie
Dass homöopathische Präparate keine klinische Wirkung entfalten, ist bekannt. Ebenso, dass sich bei Menschen dennoch ein gewisser Placeboeffekt einstellen kann, der reale, gesundheitliche Verbesserungen mit sich bringt. Bei Tieren – die sich nicht bewusst sind, was sie einnehmen – entfällt dieser Effekt – vermeintlich! Auch Tiere spüren einen Placeboeffekt, anders als Menschen aber über Konditionierung. Sie erlernen ihn also, wie zahlreiche Studien beweisen – insbesondere, wenn zuvor echte Medikamente verabreicht wurden. Das Tier lernt: «Wenn ich etwas einnehme, geht es mir besser.» Die Einnahme ist unbedenklich, sollte aber dennoch mit dem Tierarzt abgesprochen werden. Kostenpunkt für eine zweistündige Konsultation: rund 300 Franken.
Prothesen
Ob wegen Unfällen oder Krankheiten: Immer wieder kommt es bei Vierbeinern zu Amputationen von Gliedmassen. Mithilfe von Beinprothesen kann den Tieren ein mehr oder weniger normales und mobiles Leben ermöglicht werden. Ähnlich wie in der Humanmedizin werden oftmals Carbon und Silikon verwendet. Zwischen 2000 und 3000 Franken kosten solche Ersatzgliedmassen, weitere Kosten kommen aber dazu.
Gegen so etwas sei per se nichts einzuwenden, sagt Tierärztin Julika Fitzi-Rathgen: «Aber es stellt sich immer die Frage: Dient der Eingriff dem Tierwohl? Falls ja, sollte er in Erwägung gezogen werden, aber jede Entscheidung muss individuell, stimmig entsprechend dem Alter des Tieres getroffen werden.»