Die Zeit der Erkältungen ist wieder angebrochen, mit Husten, Schnupfen, Heiserkeit – und damit auch die Zeit der gut gemeinten Ratschläge: Tu was für dein Abwehrsystem, trink Ingwertee, geh in die Sauna. Einige Empfehlungen haben sich bewährt, andere sind dagegen wirkungslos und überflüssig. Immunologe Urs Steiner (46) vom Unispital Zürich sagt, was von klassischen Haus mitteln zu halten ist – und welche eher Mythen sind.
1. Jetzt ist es wichtig, sein Abwehrsystem zu stärken
Halb richtig! Wer ein paar einfache Grundregeln in seinem Alltag befolgt, muss jetzt gar nichts ändern. Steiner: «Ein ausgeglichener Lebensstil ist völlig ausreichend.» Bedeutet: Essen Sie das ganze Jahr über abwechslungsreich, viel Gemüse und Obst. Bewegen Sie sich dreimal pro Woche mindestens 30 bis 40 Minuten, ideal sind leichte Ausdauersportarten wie Laufen oder Schwimmen. Verzichten Sie auf Rauchen, Drogen und regelmässigen Alkoholkonsum, erholen Sie sich nach der Arbeit und schlafen Sie genug. Dann ist Ihr Körper im Normalfall allein in der Lage, Erreger abzuwehren. Weitere Vorkehrungen – ausser wärmerer Kleidung – sind jetzt nicht nötig.
2. Wasserdampf ist gut für die Atemwege
Übertrieben! «Zwar ist es sinnvoll, seine Schleimhäute in der kalten Jahreszeit zu pflegen», sagt Steiner. «Am besten eignen sich dafür aber Nasenspülungen mit Salzwasser.» Eine Nasendusche aus der Apotheke kostet ab 15 Franken. Für die Lösung genügt Speisesalz ohne Jod, Fluorid, Trennmittel: Einen Teelöffel auf einen halben Liter Wasser, frisch zubereitet. Wasserdampfgeräte für die Wohnung sind überflüssig: Winterluft ist in unserer Region eher feuchter (in Zürich im Schnitt 85 Prozent Luftfeuchte im November, 72 Prozent im Juli). Also häufig kurz lüften, Dampf-Inhalationen sind oft zu heiss und können, wenn Sie Zusätze verwenden, der Lunge schaden.
3. Bestimmte Lebensmittel, z.B. Brokkoli, Fisch und Nüsse, stärken das Abwehrsystem
Halb richtig! Immunologe Steiner: «Es ist nicht nachgewiesen, dass sie direkt das Abwehrsystem stärken. Es geht eher darum, durch abwechslungsreiche Ernährung einem möglichen Mangel vorzubeugen.» Listen von Lebensmitteln und ihrer angeblichen Wirkung erwecken den falschen Eindruck, sie hätten die Wirkung von Arzneimitteln: Lachs mit seinen Omega-3-Fettsäuren für gesunde Arterien, dunkle Schokolade gegen zu hohen Blutdruck, Olivenöl für das Herz. Das ist zu vereinfacht. Richtig ist: Vermeiden Sie einseitige Ernährung oder extreme Diäten, essen Sie ausgewogen, leicht und vielseitig. Das stärkt Ihren Körper und damit auch sein Abwehrsystem.
4. Sauna schützt vor Erkältungen
Halb richtig! Sauna hat einen erholsamen Effekt und trainiert den Kreislauf darauf, sich schnell an Temperaturwechsel anzupassen – so wie sie im Winter zwischen drinnen und draussen ständig auftreten. Steiner: «Wer Sauna als angenehm empfindet, sollte sie besuchen. Dann erhöht sie das allgemeine Wohlbefinden, was günstig für das Abwehrsystem ist. Wer Sauna nicht mag, sollte sich aber nicht dazu zwingen.» Gleiches gilt für wechselwarme Duschen und Bäder oder Kneipp-Anwendungen.
5. Man sollte jetzt vorbeugend Vitamin C und Zink einnehmen
Falsch! Wer sich abwechslungsreich ernährt, braucht keinerlei Nahrungsergänzungsmittel – der Körper erhält bereits alle nötigen Nährstoffe. Steiner: «Vitaminpräparate würde ich verschreiben, wenn jemand bereits krank und dadurch geschwächt ist oder schon einen Mangel aufweist. Zink unterstützt Wundheilungsstörungen.» Ein Gesunder braucht die Präparate nicht. Steiner: «Natürlich kann man jetzt ein Multivitaminpräparat nehmen.» Besser aber: frisches Obst und Gemüse – anders als chemische Präparate sind sie ohne Risiken von Überdosierungen.
6. Bei einer Erkältung sollte man sich möglichst früh Antibiotika verschreiben lassen
Falsch! Zum Arzt sollten Sie gehen, wenn eine Erkältung länger als eine Woche dauert oder schlimmer wird – wenn Sie hohes Fieber mit mehr als 38,5 Grad Temperatur bekommen, Atemnot oder Husten mit farbigem Auswurf haben. Steiner: «Eine Erkältung wird meist durch Viren verursacht, gegen die Antibiotika wirkungslos sind. Häufig beginnt eine Infektion aber viral, und im weiteren Verlauf kommt eine bakterielle Infektion dazu.» Nur in diesem Fall verschreibt ein verantwortungsbewusster Arzt Antibiotika.
7. Man sollte jetzt Ingwertee trinken, er hilft gegen Erkältungen
Halb richtig! Steiner: «Wichtig ist es, bei einer Erkältung genügend zu trinken. Warme Tees bieten sich an. Sowohl Ingwer- als auch Kräutertees, etwa Kamille, Minze oder Salbei, haben eine gute befeuchtende und beruhigende Wirkung auf gereizte Schleimhäute.» Ingwer ist also nicht nachweisbar besser – trinken Sie den Tee, den Sie mögen. Eine gute Alternative: Wasser.
8. Im Winter sind mehr Erreger unterwegs
Halb richtig! Je nach Klima und Luftfeuchtigkeit sind andere Erreger besonders aktiv. Steiner: «Grippeviren scheinen die Kälte besser zu vertragen als Wärme – und verbreiten sich bei niedriger Luftfeuchtigkeit besser.» Damit steigt das Risiko, dass sich Erreger in überhitzten, trockenen Räumen von Mensch zu Mensch übertragen (Tröpfcheninfektion durch Niesen, Husten, Sprechen). Steiner: «Achten Sie daher bei einer Erkältung darauf, andere nicht noch anzustecken – Hand vor den Mund beim Niesen oder Husten, Abstand halten.» In Spitälern tragen Mitarbeiter, Patienten und Besucher, die an der Grippe erkrankt sind, Mundschutz.
9. Erkältungen im Winter sind normal, das muss man hinnehmen
Halb richtig! Es hängt von der Häufigkeit ab. Steiner: «Ein bis zwei Erkältungen pro Jahr, die innerhalb von etwa einer Woche wieder verschwinden, muss man in Kauf nehmen.» Wer dagegen häufiger krank ist, und das jeweils über zwei bis vier Wochen oder länger, sollte sich vom Arzt untersuchen lassen. Das gilt auch, wenn Sie wegen einer Lungen- oder Nebenhöhlenentzündung regelmässig Antibiotika brauchen. Der Arzt stellt dann durch Bluttests fest, ob Ihr Immunsystem genügend Abwehrstoffe bilden kann oder ob ein sogenannter Immundefekt vorliegt, der behandelt werden muss.