Die Gesundheitsbehörden in Japan sind besorgt. Schon im vergangenen Jahr wurde in dem asiatischen Land ein Rekord-Anstieg bei Streptokokken-Infektionen verzeichnet. Doch dieses Jahr könnte alles Bisherige in den Schatten stellen. Vor allem das Streptokokken-Bakterium Streptokokkus pyogenes treibt die Zahlen nach oben. Eine Infektion kann im schlimmsten Fall tödlich verlaufen.
Droht nach Corona nun die nächste potenziell tödliche Krankheit aus Asien? Annelies Zinkernagel, Klinikdirektorin der Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene am Universitätsspital Zürich, erklärt, wie gross die Streptokokken-Gefahr in der Schweiz wirklich ist.
Welche Symptome gibt es und wie kann ich mich schützen?
Die Symptome einer Streptokokken-Infektion sind oft nicht von denen einer Virusinfektion zu unterscheiden. Die schlechte Nachricht: «Ein Schutz gegen Infektionen mit Streptokokkus pyogenes ist nur eingeschränkt möglich. Insofern werden sich Infektionen leider nie vollständig verhindern lassen.» Zinkernagel empfiehlt Erkrankten, die eine Infektion etwa im Rachenbereich bemerken, das Tragen einer Maske, um ihre Mitmenschen zu schützen. Und: «Wichtig ist es, bei Warnzeichen wie zum Beispiel übermässigen Schmerzen, Atemnot oder einer raschen Ausbreitung von Rötung und Schwellung lieber früher als später zur Ärztin zu gehen.»
Was macht Streptokokkus pyogenes so gefährlich?
Wenn Streptokokkus pyogenes in den Körper eindringt, hat es das Potenzial, sich rasch auszubreiten. Es verfügt über viele Virulenzfaktoren, die ihm nicht nur eine rasche Ausbreitung ermöglichen, sondern auch der Erkennung durch das Immunsystem auszuweichen. «Die Virulenzfaktoren kann man sich als ‹Waffen› vorstellen. Solche unkontrollierten Infektionen können lebensgefährliche Entzündungszustände im ganzen Körper hervorrufen, die schwersten Formen sind nekrotisierende Fasziitis und das toxische Schocksyndrom (STSS)», erklärt Zinkernagel.
Das grösste Risiko besteht dabei für schwer vorerkrankte Personen und Menschen, deren Immunsystem geschwächt ist. Die Streptokokken-Expertin beruhigt allerdings: «Die Sterblichkeitsrate bei Infektionen mit Streptokokkus pyogenes ist auf die Gesamtheit der Fälle betrachtet extrem niedrig.»
Was ist das toxische Schocksyndrom (STSS)?
Es sind schockierende Zahlen, die die japanischen Gesundheitsbehörden zum toxischen Schocksyndrom (STSS) veröffentlicht haben: Demnach wurden dort im vergangenen Jahr 941 Fälle des durch Streptokokken hervorgerufenen toxischen Schocksyndroms registriert. 2024 wurden allein in den ersten zwei Monaten schon 378 Fälle dokumentiert.
«Ein STSS stellt eine potenziell lebensgefährliche Komplikation einer invasiven Infektion mit Streptokokkus pyogenes dar», erklärt die Expertin. Dabei komme es «zu einer Weitstellung der kleinen Blutgefässe, die letztlich eine Minderversorgung der Organe mit Sauerstoff und Nährstoffen» bewirke. Ein solcher Zustand bedarf in der Regel intensivmedizinischer Betreuung mit Kreislaufunterstützung, Organersatztherapie und Behandlung der Infektion.
Mit nekrotisierender Fasziitis ist übrigens ein Absterben von Gewebe gemeint, weshalb Streptokokken auch als «fleischfressende Bakterien» bekannt sind.
Wie ist die Streptokokken-Lage in der Schweiz?
«Die meisten Infektionen verlaufen zum Glück harmlos. Schwerwiegende Verläufe bleiben eine Seltenheit», so Zinkernagel. «In unseren Breitengraden geht man von ungefähr 3,5 Fällen schwerer Streptokokkus-pyogenes-Infektionen pro 100'000 Personen pro Jahr aus.»
Die Datenlage zeige, dass es nach Aufhebung der Pandemie-Massnahmen zu einem Anstieg der Fälle gekommen ist. «Die Fallzahlen sind im Winter 2022/2023 beachtlich angestiegen, vor allem im Vergleich mit den Pandemiejahren. Einordnend muss man dazu sagen, dass während der Pandemie niedrigere Fallzahlen zu verzeichnen waren», fügt sie hinzu.
«Aktuell zeigt sich bereits wieder ein Rückgang der gemeldeten Fallzahlen auf ein ähnliches Niveau wie vor dem Peak von letzter Saison 2022/2023», erklärt das Bundesamt für Gesundheit auf Blick-Anfrage. Nun erforscht Zinkernagel die genaueren Ursachen für dieses Phänomen. Anzeichen dafür, dass sich die Bakterien verändert haben, gebe es nicht.