Auf einen Blick
Schmerzmittel sind ein Segen – da sind wir uns alle einig. Haben wir leichte Kopf- oder Muskelschmerzen, können wir in jeder Apotheke Medikamente mit sogenannten nichtopioiden Analgetika wie Paracetamol oder Ibuprofen kaufen. Bei starken Dauerschmerzen – zum Beispiel ausgelöst durch Tumore – hingegen müssen stärkere Geschütze aufgefahren werden. Hier kommen opioide Analegetika zum Zug. Zu ihnen gehören unter anderem Morphin, Oxycodon oder eben Fentanyl. Sie sind besonders wirkungsstark, haben aber auch starke Nebenwirkungen – zu denen unter anderem auch ein euphorisierender Effekt gehört – und ein hohes Risiko für Abhängigkeit. Deshalb sind sie verschreibungspflichtig. Durch Überdosierung oder Wechselwirkungen mit anderen Substanzen kann es zu Atemdepression und folglich zum Tod kommen.
Opioide sind bei manchen Schmerzen nicht wirksamer als andere Mittel
Laut Studien der ETH Zürich und des Kantonsspitals Baden verschreiben Schweizer Ärztinnen und Ärzte immer häufiger bereits bei geringfügigen Verletzungen des Bewegungsapparats – und nicht nur bei Tumorschmerzen – Opioide. So gab es zwischen 2008 und 2018 bei den leichten (+91,4 Prozent) und bei den schweren (+88,3 Prozent) Verletzungen eine deutliche Zunahme. Das sei insofern bedenklich, als Opioide bei muskuloskelettalen Schmerzen – nicht-entzündliche akute oder chronische Krankheiten des Bewegungsapparats – wirksamer seien als andere Schmerzmittel, schreiben die Verfasser der Studien.
Aufgrund von Daten der Helsana haben die Forschenden ein Modell entwickelt, mit dem das Risiko für eine chronische Opioideinnahme und -abhängigkeit vorausgesagt werden kann. Das heisst, man kann schon vor der Verschreibung der Opioide berechnen, wie lange der Patient oder die Patientin ungefähr behandelt werden muss, und wie hoch das Risiko ist, dass er oder sie eine Sucht entwickelt. Bei Personen mit erhöhtem Risiko können so präventive Massnahmen angeboten werden.
Vergiftungsfälle haben dramatisch zugenommen
Eine der beteiligten Forscherinnen ist Andrea Burden, Pharmakoepidemiologin am Departement Chemie und Angewandte Biowissenschaften der ETH Zürich. «In einer ersten Studie vor zwei Jahren entdeckten wir, dass der Verkauf von Opioiden und die Vergiftungsfälle durch Schmerzmittel, vor allem durch Oxycodon, in der Schweiz dramatisch zugenommen haben», sagt Burden im Interview mit der «Schweizer Illustrierten».
In einer weiteren Studie konnte man feststellen, dass bei Patientinnen oder Patienten, die im Spital opioidhaltige Schmerzmittel erhielten und zum Zeitpunkt des Spitalaustritts noch auf diese angewiesen waren, ein höheres Risiko einer erneuten Hospitalisierung bestand. «Opioide, vor allem die sehr potenten wie Oxycodon, stehen im Zusammenhang mit einem grossen Abhängigkeitspotenzial und der Gefahr lebensbedrohlicher Überdosierung. Deshalb ist es wichtig, dass eng überwacht wird, wer Opioide erhält.
Auch sollte die Dauer der Abgabe limitiert sein. Mit der Dauer nimmt die Abhängigkeit zu, und die Dosis muss ständig erhöht werden, damit die Wirkung anhält», so Burden. Die Expertin rät dringend dazu, die Ursache der Schmerzen zu behandeln, bevor Opioide eingesetzt werden.
Das bedeutet nicht, dass bei starken Schmerzen gar keine Opioide eingesetzt werden sollen, aber gerade wenn keine Tumor-Erkrankungen vorliegen, schadet es nichts, den Konsum zu hinterfragen – und vor allem, ihn zu beschränken.