Auf einen Blick
- San Francisco kopiert Zürichs Drogenmodell nicht
- Kontrollierte Abgabestellen scheitern wegen fehlender Schutzvorrichtungen
- Tenderloin Linkage Center nach elf Monaten geschlossen
- Seit 2021 Anstieg synthetischer Opioide in der Schweiz
- Zürich und Basel arbeiten an präventiven Fentanyl-Konzepten
Was San Francisco heute ist, war Zürich Mitte der 1990er-Jahre: eine schmucke Stadt mit einem massiven Drogenproblem. Genau wie derzeit in der kalifornischen Metropole lebten auch in Zürich einst Tausende Süchtige in der Innenstadt. Zürich löste das Problem unter anderem mit sogenannten «Fixerstübli», in denen die Heroin-Junkies in einem geschützten Umfeld ihre Dosis konsumieren konnten: mit sauberen Spritzen und medizinischem Beistand.
San Franciscos Stadtverwaltung kennt das Zürcher Modell. Seit 2003 gibt es eine Städtepartnerschaft zwischen den beiden Städten. In einem Abkommen von 2018 wird die Idee von kontrollierten Drogenabgabestellen ganz konkret erwähnt. Warum nur kopiert San Francisco das Schweizer Modell nicht und rettet damit jährlich Hunderte Menschen vor dem Drogentod?
JJ Smith (54), Ex-Drogendealer und heute engagierter Sozialarbeiter im betroffenen Tenderloin-Quartier, reagiert mit einem müden Lachen auf diese Frage. «Kontrollierte Abgabestellen funktionierten hier niemals. Die Mitarbeitenden würden mit dem Stoff dealen, die Süchtigen würden stehlen.» Es fehle schlichtweg an den nötigen Schutzvorrichtungen, damit so ein Versuch auch nur im Ansatz gelingen könnte. «Die Situation ist viel zu verzweifelt für solche Experimente», sagt Smith.
«In der Schweiz wurde die Drogenabgabe eben nicht nur liberalisiert»
2022 nahm San Francisco einen Anlauf und richtete das «Tenderloin Linkage Center» ein, eine Anlaufstelle für Süchtige, die inoffiziell auch als überwachte Drogenabgabestelle fungierte. Nach elf Monaten wurde das Projekt beendet. Auf nationaler Ebene sind solche Abgabestellen in den USA gesetzlich verboten. Und der kalifornische Regierungschef Gavin Newsom hat die Neueröffnung ähnlicher «Fixerstübli» in seinem Bundesstaat untersagt.
Tom Wolf (54), einst selbst als Abhängiger auf der Strasse und heute führender Fentanyl-Experte in San Francisco, glaubt grundsätzlich nicht, dass seine Heimatstadt je in der Lage wäre, den Zürcher Weg einzuschlagen. «Die Zuständigen hier haben nicht verstanden, dass ihr in der Schweiz eben nicht nur die Drogenabgabe liberalisiert habt, sondern das Ganze mit scharfen Polizeieinsätzen und strengen Vorgaben begleitet habt.» Liberalisierung: Dafür seien die San-Francisco-Obrigkeiten immer zu haben. «Sobald es um die nötige Aufstockung von Polizei und die Verschärfung von Strafen für Verstösse geht, hören sie grosszügig weg.»
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Wolf kritisiert aber nicht nur seine eigene Stadtverwaltung, sondern richtet warnende Worte an die Schweiz. «Ihr seid vor der Fentanyl-Katastrophe nicht sicher. Macht euch auf etwas gefasst. Das Problem klopft bald auch an eure Türen.»
Taliban befeuern Fentanyl-Suchtwelle
Ursache dafür: Heroin, hergestellt aus afghanischem Mohn, könnte in der Schweiz bald zur Mangelware werden, nachdem die regierenden Taliban den Anbau von Schlafmohn 2022 unter Strafe gestellt haben. An seine Stelle könnte das in San Francisco längst verbreitete Fentanyl treten.
Laut dem Drogeninformationszentrum der Stadt Zürich gibt es seit 2021 einen schnellen Anstieg von synthetischen Opioiden wie Fentanyl in der Schweiz. Wie verbreitet die gefährliche Droge hierzulande bereits ist, lässt sich schwer sagen. Die Städte Zürich und Basel aber arbeiten laut einer «Beobachter»-Umfrage bereits an Konzepten, um einer möglichen Fentanyl-Krise präventiv entgegenzuwirken. Damit sind sie San Francisco immerhin einen Schritt voraus.