Mehr als fünf Prozent der Schweizer Familien sind Patchworkfamilien. So die Zahlen vom Bundesamt für Statistik. Kommt nach der Trennung der Eltern ein neuer Partner dazu, reagieren Kinder oft spontan mit Ablehnung. Vor allem Stiefmütter kommen schlecht weg. Die Historikerin und Journalistin Barbara Tóth (43) aus Wien ist selber «Wochenend-Stiefmutter» und will mit ihrem Buch «Stiefmütter: Leben mit Bonuskindern» mit Vorurteilen aufräumen.
Wozu dieses Buch?
Als ich selber Stiefmutter wurde, fing ich an, mich mit dem Thema zu beschäftigen. Ich fand nur wenig Material, darum schrieb ich das Buch. Mir ist wichtig, das Bild der Stiefmutter zu verbessern und ihre Rolle zu würdigen. Stiefmütter verdienen das, denn sie beschäftigen sich stark mit Familienmanagement und -zusammenhalt – keine leichte Aufgabe!
Wie lange gibt es das Klischee der bösen Stiefmutter?
Seit 200 bis 300 Jahren. Schon die Gebrüder Grimm haben sich in ihrem Märchen mit der bösen Stiefmutter beschäftigt, zum Beispiel im Märchen «Schneewittchen». In «Hänsel und Gretel» war übrigens zuerst die leibliche Mutter böse. Dann wurde das Märchen umgeschrieben, und aus der bösen Mutter wurde eine böse Stiefmutter.
Welches sind die häufigsten Fehler, die Stiefmütter machen?
Es gibt zwei Fehler. Der erste ist zu glauben, dass die Patchworkfamilie wie die biologische Familie funktionieren muss. und den gleichen Regeln folgt . Nur wird erwartet und erhofft, dass es diesmal besser klappt. Der zweite Fehler ist, Kränkungen und Eifersüchteleien persönlich zu nehmen. Stiefmütter – und auch Stiefväter – sind solchen oft ausgesetzt, dürfen aber nicht vergessen, dass die Kinder sich nicht anders zu helfen wissen.
Warum akzeptieren Kinder ihre Stiefmutter nicht?
Kinder sind Traditionalisten und wollen ihre Mutter und ihren Vater. Wenn nach der Trennung plötzlich eine neue Partnerin oder ein neuer Partner dazukommt, sind die Kinder mit der Situation überfordert. Sie wollen keine Ersatzmutter oder keinen Ersatzvater.
Was für eine Rolle sollte die Stiefmutter im Leben der Stiefkinder spielen?
Oft kriegt man als Stiefmutter zu hören: «Du bist nicht meine Mutter!» Das stimmt ja auch. Spätestens dann fragt man sich: «Wofür bin ich eigentlich zuständig?» Das sollte man mit dem Partner besprechen. Der Partner ist der leibliche Elternteil und fällt die wichtigen Entscheidungen. Er ist sozusagen der «Kapitän». Die Stiefmutter sollte zum «Co-Kapitän» werden: Auch wenn sie kein leiblicher Elternteil ist, sollte sie sich doch nicht ganz rausnehmen. Wie weit sie involviert ist, muss ausgehandelt werden. Patchworkfamilien müssen viel mehr aushandeln als biologische Familien.
Wie reagiert man als Stiefmutter, wenn einen die Kinder des Partners nicht akzeptieren?
Therapeuten sagen, die Zeit sei der grösste Verbündete der Stiefmutter. Es kann manchmal bis zu fünf Jahre dauern, bis die Patchworkfamilie zusammengewachsen ist. Deshalb ist es wichtig, dass die Stiefmutter ruhig und freundlich bleibt und abwartet, auch wenn das nicht immer einfach ist. Es gibt aber Patchworkfamilien, die auseinanderfallen, weil es zwischen den Kindern und der Stiefmutter überhaupt nicht funktioniert.
Wie sollte sich der Partner verhalten, wenn die Kinder die Stiefmutter ablehnen?
Es ist wichtig, dass man so was nicht vor den Kindern diskutiert. Man sollte darüber in Ruhe sprechen und sich eventuell Hilfe von einer Fachperson holen.
Fällt es den Kindern leichter, die Stiefmutter zu akzeptieren, wenn die leibliche Mutter tot ist?
Ja, das macht es leichter. Denn es handelt sich um eine ganz andere Situation.
Haben Stiefväter einen besseren Ruf als Stiefmütter?
Ja, ihr Ruf ist deutlich besser. Das hängt damit zusammen, dass das Bild des Vaters in unserer Gesellschaft weniger emotional und weniger stark geprägt ist als das der Mutter. Es gibt auch keine Märchen, in denen ein böser Stiefvater vorkommt.