SRF-Webserie «Nr. 47» schafft es ins TV-Programm
Jung, digital, gesucht ...

Mitte Mai hat SRF die neue Webserie «Nr. 47» veröffentlicht. Mit Formaten, die fürs Internet konzipiert sind, versucht der Sender, Junge abzuholen. Erfolgreich.
Publiziert: 12.06.2018 um 09:45 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 22:25 Uhr
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Eveline (Elsa Langnäse) kocht für ihren Freund Yannik.
Foto: SRF
Dana Liechti

Eveline, Anfang 20, steht am Herd. Pfeffer bräuchte sie für den Znacht, den sie ihrem Freund zum Geburtstag kocht. Während sie in der Pfanne rührt, schielt sie auf die halb ausgepackten Kartons in ihrer Küche. Sie ist eben umgezogen in die erste eigene Wohnung. Eveline schlüpft in die Schuhe und klingelt beim Nachbarn. Der hat sicher Pfeffer.

Die SRF-Webserie «Nr. 47» spielt in einem Wohnblock in Bern und handelt vom Erwachsenwerden. Authentisch: Die Macher vor und hinter der Kamera sind fast alle unter 30. Jung sind auch jene, die Eveline bisher bei den täglichen Herausforderungen auf der Suche nach der eigenen Identität über die Schulter blickten: 91,7 Prozent der Zuschauer sind zwischen 18 und 34 Jahre alt.

Mini-Geschichten, drei bis sieben Minuten lang, nonstop abrufbar, Sendezeit unwichtig: Seit Mitte Mai und noch bis Mitte Juni kommt an fünf Tagen die Woche eine neue Folge von «Nr. 47» ins Internet. Die Serie fügt sich damit ein in eine ganze Reihe von Produktionen, die das Schweizer Radio und Fernsehen in den letzten Jahren ausschliesslich fürs Netz konzipiert und gedreht hat.

SRF will sich um Lebenswelten der Schweizer Jugend kümmern

«Digital first» nennt man das. In dem Bereich hinkt der staatliche Sender der Konkurrenz im Ausland um einiges hinterher. Dort ist man in der Produktion von digitalen ­Videoinhalten schon viel weiter – mehr Ressourcen, mehr Videos, ­höhere Professionalität. Bester Beweis dafür ist, dass etwa unser nördliches Nachbarland bereits seit 2011 jährlich den Webvideopreis Deutschland vergibt.

Zwar gingen auf SRF schon 2014 mit «Break-ups» und kurz darauf mit «Güsel» zwei Formate online. Und in den Jahren 2015 und 2016 folgten eine Webserie übers Familiensein und eine übers Kochen mit exotischen Lebensmitteln. Die vier Produktionen kamen aber nicht direkt aus dem Hause SRF. Sie waren Kreationen eines Wettbewerbs, den die SRG lanciert hatte und extern produzieren liess.

«Nr. 47»: Schauspieler Elsa Langnäse, Fabian Vogt, Lorena Handschin und Ali Erkut mit Kameramann Pascal Reinmann (v.l.n.r.) beim Dreh.
Foto: SRF

Eigengewächse im Webserien-Dschungel kreiert SRF erst seit 2016. Besonders im Bereich «Junge Zielgruppen», der sich an junge Erwachsene zwischen zwölf und 35 richtet, basteln die Macher fleissig mit. «Um den Interessen des Web-affinen, jungen Zielpublikums zu entsprechen, probieren wir neue Ausdrucksmöglichkeiten aus», sagt Bereichsleiter Stefano Semeria.

Das Nutzungsverhalten der Jungen findet heute vor allem online statt. Da passen Webserien: Sie sind stets abrufbar. Der Zuschauer kann sie nutzen, wenn ihm danach ist. Durch ihre kurze Dauer kann man sie gar unterwegs auf dem Smartphone konsumieren.

Um gegen die erfahreneren ausländischen Sender anzukommen, setzt SRF mit seinen Produktionen auf Themen, die diese nicht ab­decken. «Die ausländische Konkurrenz kümmert sich nicht um die Lebenswelt der Schweizer Jugend», sagt Semeria. Deshalb versuche man, ein Programm zu gestalten, das Relevanz für junge Schweizer hat. Und dreht alle Videos in Mundart. «Bei der Themenwahl achten wir darauf, gesellschaftliche Sachen aufzugreifen, die Anlass für Diskussionen geben oder zum Nachdenken anregen», sagt Semeria.

In den ersten drei Monaten über 16 Millionen Kontakte generiert

In kürzester Zeit hat der Bereich «Junge Zielgruppen» eine ganze Ladung an neuen, unterschiedlichen Digital-first-Serien entwickelt: «True Talk», «Inked», «Kreuz & Queer» sind nur drei von mehr als einem Dutzend Webserien, die die Abteilung in den letzten zwei Jahren hervorgebracht hat. In «True Talk» erzählen ein Schwuler, eine junge Mutter, eine Frau im Militär, eine Depressive und ein ehemaliger Räuber aus ihrem Leben. Sie alle reden Tacheles über Vorurteile, die ihnen begegnen.

«Inked» stellt Tattoo-Liebhaber, Tätowierer und ihre Geschichten vor, in «Kreuz & Queer» sprechen Menschen über ihre Sexualität, in «S.O.S» über ihre Krankheit. «Zwei am Morge» ist ein Comedy-Format, und via «Youngbulanz» geben junge Erwachsene Alltagstipps und klären Teenager auf. Das Konzept des Bereichs «Junge Zielgruppen» funktioniert. Junge Schweizer schauen sich die Videos rege an, liken und teilen sie.

1,7 Millionen Aufrufe: Die «True Talk»-Episode mit dem Rollstuhlfahrer Hitzi ist mit 1,7 Millionen Aufrufen die erfolgreichste.
Foto: SRF

Laut SRF erreichten die Formate rasch ein grosses Publikum. Allein in den ersten drei Monaten hatte man mehr als 16 Millionen Kontakte generiert, die Videos erspielten drei Millionen Klicks. Und es läuft weiter rund, das Zielpublikum spricht auf die Formate an: Rund 70 Prozent der Zuschauer aller SRF-Webserien sind unter 35 Jahre alt.

Am beliebtesten ist «True Talk». Die Serie konnte bisher während vier Staffeln über 10,7 Millionen Aufrufe verzeichnen. Die erfolgreichste Episode ist jene, in der der 23-jährige Hitzi über seinen Alltag als Rollstuhlfahrer erzählt und mit Klischees aufräumt. Das hat das Publikum mit 1,7 Millionen Aufrufen, 40 000 Likes und 10 000-mal geteiltem Video belohnt.

Dank Klickzahlen, Shares und Kommentaren können die Macher zeitnah und direkt sehen, wie eine Produktion bei den Nutzern ankommt. Das ist nicht der einzige Vorteil. Die webbasierten Serien sind auch viel günstiger in der Produktion als herkömmliche fürs Fernsehen. Während eine Minute von «Nr. 47» etwa 2000 bis 3000 Franken kostet, ist die gleiche Sendezeit bei TV-Produktionen wie dem «Bestatter» vier Mal so teuer.

Erfolgreiche Webserien schaffen es ins TV-Programm

Ihr Nachbar drückt Eveline Pfeffermühle und Salzstreuer in die Hand. Für mehr als einen kurzen Smalltalk reicht es heute nicht. Aber vielleicht entsteht da eine Freundschaft. Zurück in der Wohnung, taucht Evelines Freund auf. «Wow du hesch ja scho d Regal montiert», sagt er. Und sie:«Happy Birthday.»Eveline, ihr Freund und der Nachbar sind fiktive Charaktere.

Mit «Nr. 47» hat SRF erstmals eine Webserie mit erfundenem Plot ins Leben gerufen. Bisher haben die Folgen rund 600 000 Views ge-neriert. Die zweite Staffel von «Nr. 47» erscheint im Herbst, weitere sind in Planung. Und sie wird nicht die einzige fiktive Webserie des Senders bleiben. Demnächst will man ein Literaturformat für Schüler realisieren, sagt Semeria.

Wer sich mit dem Online-Angebot nicht anfreunden kann, sei getröstet, einige Web-Formate schaffen es ins TV-Programm. So etwa 2015 «Güsel», eine humoristische Serie über drei Müll-Detektive von und mit Kabarettist Gabriel Vetter. Oder «How I met my Schätzli», wo junge Schweizer Paare von ihrem Kennen- und Liebenlernen erzählen, das am Valentinstag 2017 zur Ausstrahlung kam. Und nächste Woche wird «Nr. 47» im TV laufen – während der besten Sendezeit, mittwochabends nach acht.

Online: www.srf.ch/nr47
TV: SRF
2, Mittwoch, 13. Juni, 20.10 Uhr

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