Picasso-Enkelin und -Expertin an der Art Basel
«Oma war seine Liebe, sein Sonnenschein, sein grosses Thema»

An der Art Basel sind die Gemälde Pablo Picassos auch 45 Jahre nach dessen Tod ein Objekt der Begierde. Privat war der Maler ein grosser Familienmensch, wie sich seine Enkelin Diana Widmaier (44) erinnert.
Publiziert: 14.06.2018 um 14:03 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 15:35 Uhr
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Diana Widmaier Picasso ist die Enkelin des Jahrhundert-Künstlers Pablo Picasso und gilt als Expertin für seine Skulpturen.
Foto: Getty Images
Christian Maurer

Im kommenden Jahr kommt Picasso ganz gross in die Schweiz. Die Picasso-Schau in der Fondation Beyeler wird eine der wichtigsten Kunstausstellungen der Welt. Rund 80 seiner Frühwerke aus der Blauen und der Rosa Periode sollen gezeigt werden – über 100-jährige Bilder und Skulpturen aus Sammlungen und Museen in der ganzen Welt, die kaum je ausgeliehen werden. «Die aufwendigste und kostspieligste Ausstellung in der Geschichte der Fondation Beyeler», sagt Fondation-Chef Sam Keller (52). Grosse Freude herrscht auch bei Picassos Familie: Picasso-Enkelin Diana Widmaier Picasso (44) erinnert sich  an die Erzählungen über ihren berühmten Grossvater.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie Ihre Grossmutter Marie-Thérèse Walter sehen, gemalt von Picasso, Ihrem Grossvater?
Diana Widmaier Picasso: Mir kommen Farben in den Sinn, Lila, Gelb, Blau, Rot. Und Gerüche. Marie-Thérèses Periode ist eine Explosion von Sinnlichkeit und Freude, ein Erwachen der Sinne.

Diana Widmaier Picasso und ihr Grossvater Pablo Picasso – die Skulptur stammt vom Künstler Maurizio Castellan.
Foto: Getty Images

Wie haben sich Ihre Grossmutter und Picasso getroffen?
Sie trafen sich am 8. Januar 1927 zum ersten Mal vor dem Pariser Kaufhaus Galeries Lafayette. Marie-Thérèse wollte sich dort eine Col Claudine kaufen – einen abnehmbaren Bubikragen – und dazu passende Manschetten. Picasso trat auf sie zu und sagte: «Du hast ein interessantes Gesicht. Ich würde gerne ein Porträt von dir machen. Ich denke, wir werden gemeinsam grossartige Dinge tun. Ich bin Picasso.» Angeblich wusste die hübsche junge Schwedin nichts von dem Künstler, also ging er mit ihr in einen Buchladen und zeigte ihr ein Buch über sich, auf Chinesisch oder Japanisch, dachte sie. Picasso war zwar mit der russischen Tänzerin Olga Chochlowa verheiratet, aber Marie-Thérèse stimmte zu, ihn wieder zu sehen. Tage später ging sie in sein Studio und begannen ihre intensive Liebesbeziehung.

Die beiden heirateten nie, und als nach zwölf Jahren Dora Maar auftauchte, verliess Picasso Marie-Thérèse. Sind Sie deswegen böse auf ihn?
Trotz seiner neuen Liebesaffäre mit Dora Maar besuchte Picasso Marie-Thérèse und Maya regelmässig. Er war nie wirklich von Marie-Thérèse getrennt, wie wir in einem Brief sehen, den er ihr 1944 schrieb: «Heute, am 13. Juli 1944, ist der 17. Geburtstag deiner Geburt in mir und zweimal dein Geburtstag in dieser Welt, in der ich, nachdem ich dich getroffen habe, angefangen habe zu leben.» Ein unschätzbares Zeugnis seiner Liebe.

Ihre Grossmutter hat das künstlerische Leben von Picasso gerettet, als er gelangweilt und nicht sehr produktiv war.
Marie-Thérèse war mehr als Picassos Mätresse. Sie war seine bezaubernde junge Geliebte, sein Sonnenschein. Als sie sich kennenlernten, war sie 17 Jahre alt, er 45. Ihre Begegnung veränderte ihr Leben und die Geschichte der modernen Kunst. Marie-Thérèse wurde eine wichtige Inspirations- und Erneuerungsquelle für Picassos Werk. Seine leidenschaftliche Liebe zu ihr war das Thema der meisten seiner Meisterwerke in dieser Zeit. Ihr griechisches Profil, ihre Haare, die zarte Haut und ihre mandelförmigen blauen Augen sind in sanften Pastelltönen gehalten, gemalt in einem Überschwang von Sinnlichkeit und Freude. Auch die Serie von Picassos Skulpturen von Marie-Thérèse sind Metaphern für die sexuelle Vereinigung zwischen dem Künstler und seinem Modell.

Wie oft hat Picasso Ihre Grossmutter porträtiert?
Er schuf über 600 Gemälde und Zeichnungen von ihr und 40 grosse Skulpturen.

Besitzen Sie selber welche?
Picasso war ein produktiver Künstler und meine Familie hatte die Chance, viele wichtige Werke meines Grossvaters zu erben. Meine Mutter hatte auch viele Porträts von sich selbst und ihrer von Picasso gemalten Mutter. Sie hat auch ein Porträt von Picassos Vater, Don José, was ihr sehr wichtig ist. 

Sind Sie stolz darauf, Picassos Enkelin zu sein?
Für mich als Kunsthistorikerin ist es vor allem ein Privileg, über Picasso zu arbeiten. Als Picassos Enkelin erlaubt mir meine Forschung, die Geschichte meiner eigenen Familie neu zu entdecken.

Der Materialwert ist gering: nur Ölfarben und Leinwand. Doch der Spätwerk-Picasso «Mousquetaire et femme à la fleur» (1967) kostet an der Art Basel 18 Millionen Dollar.
Foto: Stefan Bohrer

Was hat Ihnen Ihre Mutter Maya von ihrem Vater Picasso erzählt?
Mein Grossvater war ein liebevoller und fürsorglicher Vater. Maya war in den ersten zehn Jahren ihres Lebens das Hauptthema zahlreicher Zeichnungen und Gemälde ihres Vaters, der mit Faszination und Zärtlichkeit ihre körperliche und geistige Entwicklung beobachtete. Er hatte grosse Qualitäten als Vater. Meine Mutter erzählte mir, wie er ihr Lieder vorsang und Puppen aus Kichererbsen und Stofffetzen bastelte, als sie drei oder vier Jahre alt war. Später, in den 1950er-Jahren, machte er viele Spielzeuge für seine späteren Kinder Claude und Paloma, und seine Skulpturen wurden spielerisch. Wenn Maya an ihren Vater denkt, spricht sie von Lachen und Freude.

Wie fühlt es sich an, Picassos Enkelin zu sein?
Ich habe mich viele Jahre auf Alte Meister spezialisiert. Vielleicht, um mich abzugrenzen. Erst vor zehn Jahren hatte ich das Bedürfnis, mich mit dem Vermächtnis meines Grossvaters zu befassen. Jetzt arbeite ich an einem Werkverzeichnis von Picassos Skulpturen und machte schon mehrere Ausstellungen. Für Picasso hat Kunst keine Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft – ich glaube, ich denke wie er.

Die Enkelin

Diana Widmaier Picasso (44) ist die Enkelin von Pablo Picasso (1881–1973). Ihre Mutter Maya (82) ist die Tochter von Marie-Thérèse Walter (1909–1977), die von 1927 bis Ende der 1930er-Jahre die Muse und Geliebte des Malers und Bildhauers war. Diana Widmaier Picasso befasst sich als Kunsthistorikerin auch beruflich mit dem Maler-Genie und gilt als Expertin für die Skulpturen ihres Grossvaters. Sie ist in Südfrankreich geboren und lebt heute in New York. Seit gut einem Jahr ist sie Mutter einer Tochter mit dem Namen Luna.

Diana Widmaier Picasso (44) ist die Enkelin von Pablo Picasso (1881–1973). Ihre Mutter Maya (82) ist die Tochter von Marie-Thérèse Walter (1909–1977), die von 1927 bis Ende der 1930er-Jahre die Muse und Geliebte des Malers und Bildhauers war. Diana Widmaier Picasso befasst sich als Kunsthistorikerin auch beruflich mit dem Maler-Genie und gilt als Expertin für die Skulpturen ihres Grossvaters. Sie ist in Südfrankreich geboren und lebt heute in New York. Seit gut einem Jahr ist sie Mutter einer Tochter mit dem Namen Luna.

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