Von 1988 bis 2018
Das Ende der 80er-Jahre steht ganz im Zeichen von «Dirty Dancing»: Der Tanzfilm mit Patrick Swayze († 57) und Jennifer Grey (58) füllt 1987 die Kinos. In dieser Zeit laufen beim Migros-Kulturprozent die letzten Vorbereitungen für ein Festival, das den Tanz von der Leinwand auf die Bühne bringen will. Eine Erfolgsgeschichte: Nächsten Donnerstag beginnt bereits «Steps #16» und führt bis zum 5. Mai ein Dutzend internationale Tanztruppen wie die GöteborgsOperans Danskompani in 31 Schweizer Orte.
Vom Monte Verità zu Steps
Der Tanz hat in der Schweiz allenfalls in der Folklore eine Tradition. In seiner freien Ausformung ist er hierzulande eine vergleichsweise junge Kunst. Die ersten Impulse kommen Anfang des 20. Jahrhunderts vom Ausdruckstanz der Künstlerkolonie auf dem Tessiner Monte Verità (Bild). Im Zuge der Jugendunruhen um 1980 entstehen alternative Aufführungsorte, und Performance erobert den öffentlichen Raum. Das jährlich stattfindende Theater-Spektakel am Zürichsee macht den zeitgenössischen Tanz ab 1980 einem breiten Publikum schmackhaft.
Von Boris Fischer zu Isabella Spirig
Der Basler Schauspieler, Regisseur und Dramaturg Walter Boris Fischer (78, Bild) ist von 1977 an Leiter des Ressorts Kulturelle Aktionen beim Migros-Genossenschafts-Bund. Anfang der 80er-Jahre veranstaltet er Schweizer Tourneen für eine kanadische und eine deutsche Theaterkompanie. Das grosse Publikumsecho lässt die Idee für ein Festival aufkeimen. Fischer baut Steps von 1988 bis 1998 auf. Dann übernimmt die Tänzerin und Tanzpädagogin Isabella Spirig Steps – zunächst in der Co-Leitung mit Samuel Wuersten, seit 2010 in alleiniger Verantwortung.
Vom klassischen Ballett zum zeitgenössischen
Tanz In den 80er-Jahren gibt es eine klare Trennung – die Stadttheater und Opernhäuser pflegen den klassischen Tanz mit Tutu und Ballettschuhen, um das zeitgenössische Bewegungstheater kümmert sich die freie Szene. In dieser Situation fungieren Festivals wie Steps oder das Theater-Spektakel als Vermittler von neuen Tanzformen. Mittlerweile hat sich auch in den institutionellen Häusern der Schwerpunkt hin zum zeitgenössischen Tanz verschoben.
Vom Elfenbeinturm zu den Menschen
Kultur zu den Menschen bringen und nicht die Menschen zur Kultur kommen lassen – das ist die Idee von Steps-Gründer Walter Boris Fischer. Deshalb ist von Anfang an klar, dass Steps kein stationäres, sondern ein Tournee-Festival sein soll. Mit einem schönen Zusatznutzen: Die Veranstalter können den eingeladenen Tanzensembles gleich mehrere Schweizer Auftritte ermöglichen.
Von der Romandie ins Tessin
Tanz hat gegenüber dem Sprechtheater einen entscheidenden Vorteil – er kennt keine Sprachbarriere. Die Körpersprache verstehen alle Regionen gleich. So ist bereits in der ersten Ausgabe des Intercity Tanzfestival Steps, wie es zu Beginn heisst, die französische Schweiz auf dem Tourneeplan: 6 der 16 Aufführungsorte sind in der Romandie. Bereits in der zweiten Ausgabe von 1990 wagt das Festival den Schritt über den Gotthard ins Tessin – zunächst nach Verscio, später nach Chiasso, Lugano und Bellinzona.
Von der Stadt aufs Land
Wie der Migros-Wagen früher auch abgelegene Regionen bediente, so bereisen die Kompanien immer wieder ländliche Gebiete und zeigen dort ihre Tanzaufführungen. Das ist das grosse Verdienst von Steps: Während zeitgenössischer Tanz in den grossen Schweizer Städten schon lange zum Programm gehört, erschliesst Steps mit Vorstellungen in 3500-Seelen-Gemeinden wie Steckborn TG und Poschiavo GR ein neues, interessiertes Publikum.
Von der Bühne auf die Strasse
Eine Rollschuh-Tanzgruppe, die durch den Zürcher Hauptbahnhof sowie verschiedene Einkaufszentren kurvt, und eine Dance Company, die ihren Jazztanz auf der Strasse präsentiert – in den ersten zehn Jahren sind die Steps-Aufführungen immer wieder an Orten anzutreffen, wo man sie nicht erwartet. Dadurch will man spielerisch ein junges Publikum für die Veranstaltungsreihe gewinnen.
Von der Strasse in die Schulen
Seit 2004 will Steps die Jungen nicht mehr bloss auf der Strasse überraschen, sondern gezielt in den Schulen antreffen und schon Siebenjährigen Beine machen. Die Tänzerinnen und Tänzer erklären Erst- bis Viertklässlern, was eine Choreografie ist, und studieren mit den Kindern ein Kurzstück ein. Bis heute haben über 25 000 Schülerinnen und Schüler am Vermittlungsprogramm teilgenommen; dieses Jahr finden Schüler-Workshops erstmals auch im Tessin statt.
Von den Jungen zu den Alten
Während Steps mit dem Schulprogramm erfolgreich gegen die Überalterung des Publikums ankämpft, geht das Festival auf der Bühne schon früh den umgekehrten Weg und stellt nicht nur junge, agile Körper zur Schau. 1994 präsentiert man erstmals das Nederlands Dans Theater mit über 40-jährigen Tänzern, das sogenannte NDT3. Bei der Steps-Ausgabe von 2016 sorgen die Dancing Grandmothers aus Südkorea (Bild) für Furore.
Vom Perfect Body zum Handicap
Steps verändert die Sehgewohnheiten nicht nur mit älteren Menschen auf der Bühne, manchmal konfrontieren die Veranstalter das Publikum auch mit behinderten Tänzern, so 2016 mit der englischen Candoco Dance Company (Bild), bei der Bein- und Armamputierte mitwirken. Die zehnte Steps-Ausgabe von 2006 steht gar unter dem Motto «Simply Perfect» und hinterfragt Körperlichkeit und Perfektion im Tanz.
Von national zu international
Steps entwickelt sich im Laufe der Jahre von einer nationalen zu einer internationalen Schau (im Bild der brasilianische Tänzer Ismael Ivo 1994 bei Steps). Kommt in den ersten beiden Ausgaben noch gut die Hälfte der Tanzkompanien aus der Schweiz, fährt man deren Anteil 1996 auf 0 Prozent runter. In den letzten paar Festivals gehen jeweils zwei Schweizer Ensembles mit Steps auf Tour, was aktuell einem Anteil von 17 Prozent entspricht.
Von 16 auf 36 Aufführungsorte
Eine grosse Herausforderung für die Macher ist es, geeignete Aufführungsorte zu finden und die mit dem Tourneeplan der Ensembles zu koordinieren. In den letzten Jahren hat sich eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Migros-Kulturprozent und einzelnen Häusern herausgebildet, so mit der Gessnerallee in Zürich oder der Kaserne in Basel. Waren es 1988 noch 16 Bühnen, sind es für die aktuelle Ausgabe deren 36. Gleichzeitig hat man das Festival von 35 auf 24 Tage verkürzt – das Programm ist dichter und kompakter.
Von 0 auf 400'000 Zuschauer
Wie jedes Festival muss auch Steps bei null beginnen. Die Veranstaltungsreihe kann zwar schon zu Beginn auf ein tanzinteressiertes, urbanes Publikum zählen. Indem man aber bewusst auch ländliche Gebiete bespielt, baut sich Steps über die Jahre ein eigenes, treues Stammpublikum auf. Jede Ausgabe zählt gegen 30'000 Zuschauer. Bis heute haben rund 400'000 Schweizerinnen und Schweizer eine Steps-Aufführung gesehen.
Vom Hobby zum Beruf
«Bühnentänzer/-in EFZ» – seit 2008 ist das in der Schweiz ein anerkannter Beruf. Nach einer dreijährigen Ausbildung in klassischem oder zeitgenössischem Tanz bekommt man ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis. Das ist sicherlich nicht das alleinige Verdienst von Steps, aber das Festival hat in der Bevölkerung das Bewusstsein für diesen Berufsstand gefördert und dadurch die politischen Voraussetzungen für eine sicherere Basis geschaffen.
Das nächste Tanzfestival Steps dauert vom 12. April bis zum 5. Mai 2018. Programm und Tickets auf www.steps.ch