Die Aufgabe von Weinkritikern ist eigentlich relativ simpel: einen Wein professionell verkosten, beschreiben und eine Einschätzung zu dessen Qualität und Lagerfähigkeit abgeben. Das erfordert auch die Vergabe einer Punktzahl, zum Beispiel 90/100 oder 18/20 Punkte, um Weine untereinander vergleichbar zu machen.
Mehrere Faktoren erschweren den Weinkritikern jedoch ihren Berufsalltag. Da sind zum einen zeitliche Einschränkungen, der Druck des Weinhandels auf hohe Bewertungen, die Gunst der zu bewertenden Weingüter sowie die Notwendigkeit, sich von anderen Weinkritikern abzuheben.
Weinkritiker haben es nicht leicht
Wie in jedem anderen Beruf ist bei Weinkritikern die Zeit ein limitierender Faktor. Die romantische Vorstellung, dass hinter jeder Bewertung ein umfassender Besuch auf dem Weingut sowie ein ausgiebiges Gespräch mit den Winzern steht, ist fern jeder Realität.
Um Zeit zu sparen und um möglichst viele Bewertungen in einem bestimmten Zeitraum schreiben zu können, erfolgen die meisten Bewertungen an Messen, bei Händlern, im Büro oder gleich bei den Kritikern zu Hause. Die meisten Weinbewertungen sind zudem kostenpflichtig, weshalb die Kunden eine Vielzahl an Bewertungen erwarten. Wer diese nicht abliefert, verliert Kunden an die Konkurrenz.
Wichtig ist, dass sich Weinliebhaberinnen und Weinliebhaber ihre eigene Meinung bilden und jene Weine geniessen, die ihnen am besten schmecken. Wer Bewertungen beim Einkauf berücksichtigen will, muss sich bewusst sein, dass die Reduktion des Weins auf eine Zahl und deren Vergleichbarkeit mit anderen Weinen nicht ganz unproblematisch ist.
Das Problem zu tiefer Bewertungen
Bewerten Weinkritiker die Weine im Konkurrenzvergleich zu tief, kann das gleich mehrere Probleme mit sich bringen. Zum einen wäre da die Gunst der Weingüter. Als Weingut lädt man verständlicherweise eher solche Kritiker zur Bewertung ein, die den eigenen Weinen wohl gesonnen sind.
Auch im Weinhandel sind tiefe Bewertungen ein Problem, denn das Ziel ist es ja, Weine zu verkaufen. So suchen sich die Händler zu ihren Weinen gern die höchsten Bewertungen führender Kritiker aus, um die Verkäuflichkeit der Weine zu erhöhen. Wer zu tief bewertet, wird nicht als Weinkritiker aufgeführt und verliert so an wichtiger Visibilität.
Viele Weingüter haben es sich zudem zur Gewohnheit gemacht, ihnen wohlgesonnene Bewertungen direkt auf der Flasche anzubringen, zum Beispiel mit einem Aufkleber oder einem kleinen Kartonaufsatz. Solche Informationen sind nicht nur verkaufsfördernd, sie bewerben auch die Weinkritiker selbst. Wessen Name nicht auf solchen Flaschen auftaucht, verliert an Bekanntheit und im Endeffekt auch an Kundschaft.
Auch zu hohe Bewertungen sind problematisch
Auf den Vorwurf, die Bewertungen der Weinkritiker seien in den letzten 20 Jahren im Durchschnitt immer höher geworden, wird meistens argumentiert, die Weine seien aufgrund verbesserter Produktionstechniken kontinuierlich besser geworden. Das mag zu einem grossen Teil zutreffen, doch die Schwemme an hohen Bewertungen lässt sich schlecht wegreden.
Das Problem: Konstant hohe Bewertungen wirken sich negativ auf die Glaubwürdigkeit der Kritiker aus. Es gibt Weinkritiker, bei denen man pauschal zwei bis drei Punkte abziehen muss, um ein glaubwürdiges, vergleichbares Ergebnis zu erhalten. Manche Kritiker haben zudem eine unübersehbare Vorliebe für ein bestimmtes Weinland, was Bewertungskorrekturen ebenfalls erforderlich macht.
Konstant zu hohe Bewertungen führen auch dazu, dass Konsumentinnen und Konsumenten ihre Wahrnehmung hinsichtlich der Punktequalität ständig nach oben anpassen. Bewirkte eine Punktzahl von 94/100 vor 20 Jahren zum Beispiel bei einem Châteauneuf-du-Pape praktisch automatisch eine erhöhte Nachfrage, hat eine solche Bewertung heutzutage fast keine Auswirkung mehr.