Editorial zu Tucker Carlsons Gespräch mit dem Kreml-Chef
Putins wahre Botschaft

Politiker wählen die Plattform für ihre Verlautbarungen ganz bewusst aus – dass der russische Präsident Donald Trumps Lieblingsjournalisten auserkoren hat, sagt mehr aus als der Inhalt des Gesprächs.
Publiziert: 11.02.2024 um 09:51 Uhr
Reza Rafi, Chefredaktor SonntagsBlick.
Foto: Philippe Rossier
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Am Dienstag prallten zwei Titanen des Journalismus aufeinander. Christiane Amanpour teilte gegen Tucker Carlson aus: «Glaubt Tucker wirklich, dass wir Journalisten seit der russischen Invasion nicht jeden Tag versucht haben, Wladimir Putin zu interviewen? Absurd!», schrieb sie auf ihrem X-Account.

Amanpour, Chefkorrespondentin bei CNN und vielleicht die berühmteste Politjournalistin der Welt, ist sauer. Der Grund: Wie Tucker Carlson, US-Journalist und Held der Neuen Rechten, sein Interview mit dem russischen Präsidenten ankündigte. Carlson warb für seinen Coup in der Pose des publizistischen Freiheitskämpfers, der im Gegensatz zur Konkurrenz auch die andere Seite anhöre. «Nicht weil ich Russland liebe, sondern weil ich die USA liebe.»

Natürlich ist Carlsons Behauptung, niemand ausser ihm habe versucht, Putin zu befragen, blanker Unsinn. Er weiss, dass sich weltweit Medienschaffende um ein Treffen mit dem Kreml-Chef bemühen. Die Show beleuchtet aber einen zentralen Aspekt von Interviews: Politiker überlegen sich sehr genau, wem sie eine Audienz gewähren – und wem nicht. Das gilt überall, Schweiz inklusive. Auch Tamara Funiciello, Ueli Maurer oder Karin Keller-Sutter wählen die Kanäle für ihre Verlautbarungen bewusst aus.

Putins wichtigste Botschaft beim Treffen mit dem Amerikaner ist denn auch die Wahl seines Interviewers: Er nimmt sich zwei Stunden Zeit für den Lieblingsjournalisten von Donald Trump, auf dessen Wahlsieg er hofft. Carlson war beim TV-Sender Fox News als Wegbegleiter des republikanischen Ex-Präsidenten aufgestiegen. Seine Vasallentreue ging weit und war teuer: Selbstverständlich übernahm er kritiklos Trumps «Fraud Claims», also die Behauptungen, Joe Bidens Wahl zu seinem Nachfolger sei gefälscht. Das kostete Fox 787 Millionen Dollar Schadenersatz zugunsten des Wahlmaschinenherstellers Dominion. Carlson wurde gefeuert und ist nun Publikumsmagnet auf Elon Musks Online-Plattform X.

Putin muss sich im Hoch fühlen; seine Soldaten an der Front metzeln gerade im Akkord Ukrainer nieder, weil die Republikaner im US-Parlament den Nachschub für Kiew blockieren – selbstverständlich unter dem Applaus Tucker Carlsons.

«Wären sie der Nato beigetreten?»
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Carlson im Interview mit Putin:«Wären sie der Nato beigetreten?»
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