Editorial über den Datenskandal
Gut für die Fedpol-Chefin, dass wir keine Rücktrittskultur kennen

Sicherheitsdispositive für Diplomaten und Bundesräte sowie Interpol-Anfragen sind im Netz abrufbar. Ob Köpfe rollen werden, ist trotzdem fraglich.
Publiziert: 02.07.2023 um 00:59 Uhr
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Aktualisiert: 02.07.2023 um 01:06 Uhr
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Diese Pointe kann nur die Wirklichkeit liefern: Am selben Wochenende, an dem dank diverser Medien sowie hartnäckiger Parlamentarier das wahre Ausmass des Datenskandals beim Bund bekannt geworden ist, hält Bundesbern einen Tag der offenen Tür ab.

Das Parlamentsgebäude mit seinen Sitzungszimmern, wo sonst hinter verschlossenen Türen unter dem Schutz des Amtsgeheimnisses Gesetze beraten und Beschlüsse gefällt werden, ist anlässlich des 175-Jahr-Jubiläums der Bundesverfassung für die Allgemeinheit zugänglich. Keine Spur von Diskretion, die sonst in der Politik gilt.

Genauso barrierefrei können Interessierte via Darknet die Datenmassen von Bundespolizei und Zoll besichtigen, die der Staat eigentlich unter grösster Geheimhaltung horten sollte. Dummerweise hat man bei der Verwaltung irgendwann entschieden, die EDV auch in diesem delikaten Bereich komplett an eine Privatfirma auszulagern. Der Rest ist Geschichte: Die Hacker machten Beute; Unzählige Daten stehen im Netz frei zur Verfügung. Für das Berner Oberländer Unternehmen ist der Schaden enorm.

Nach anfänglichem Zögern übereifern sich die Behörden mit Untersuchungen und Abklärungen. Am Anfang steht eine kleine Subkommission der GPK, die Fedpol-Chefin Nicoletta della Valle vorgeladen hatte. Jetzt ermitteln Bundesanwaltschaft, Berner Staatsanwaltschaft und mit dem eingesetzten Krisenstab gleich alle sieben Departemente.

Recherchen zeigen nun, worum es eigentlich geht: Sicherheitsdispositive der Bundespolizei bis ins kleinste Detail lassen sich herunterladen, Anfragen von Interpol an die Eidgenossenschaft, Gefährdungsstufen, Namen und Adressen schützenswerter Objekte, Log-in-Daten für Computersysteme mehrerer Bundesämter. Das alles tönt wie der Plot einer Filmkomödie, die «Ernstfall in Bern» heissen könnte oder «Buchhalter Nötzli bei der Bundespolizei».

Der Präsident der erwähnten Subkommission, Alfred Heer, fordert bereits personelle Konsequenzen. Fraglich ist, ob es je so weit kommen wird. Die Schweiz kennt keine Rücktrittskultur wie etwa Deutschland. Man schützt sich im Zweifel lieber gegenseitig. In einem Interview über die Mafia sagte Fedpol-Chefin della Valle 2021: «Die Omertà gilt auch in der Schweiz.» Auch diese Pointe kann nur die Wirklichkeit liefern.

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